Rebound
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Kongo

1.-5. September, Butembo/Kongo, Hotel Auberge

Dienstag morgen in aller Herrgottsfrühe fährt mich Tina zum Köln-Bonner Flughafen. Abflug 7:05 nach Amsterdam und von da aus um 11:10 weiter mit der KLM nach Entebbe, dem Flughafen von Kampala/Uganda. Unterwegs treffe ich Brigitte Schmitz von der Welthungerhilfe und unser Filmteam, das im Ostkongo im Verlauf der folgenden Tage einen 15-minütigen Film und einen dreiminütigen Einspieler für das Welthungerhilfe-ZDF-Benefiz-Quiz „Gut zu wissen“ mit Markus Lanz am 18.November drehen wird.
Nach einem ruhigen Flug landen wir pünktlich um 20:15 Uhr in Entebbe und checken nach kurzer Autofahrt im „Boma-Guesthouse“ ein. Hier hatten wir vor 2 Jahren am Schluss von Manfreds erstem Uganda-Besuch bereits einen Zwischenstopp eingelegt. In Entebbe landen hat inzwischen so was von „nach Hause kommen“.

Am Mittwoch morgen dann erneut früh aus den Federn. Weiterflug mit einem kleinem Propeller-Flugzeug der Eagle Air nach Beni im Ostkongo. Einstündiger Zwischenstopp wegen der Grenzformalitäten auf dem „International Airport“ von Bunia und dann in Beni angekommen, per Auto noch anderthalb Stunden Holperpiste bis hierher, nach Butembo, wo wir für die folgenden Tage im Hotel Auberge unsere Zimmer beziehen. Diese Hotelanlage hat allem Anschein nach in den Jahren vor dem Kongo-Krieg einmal eine große Zeit gehabt, inzwischen gibt es Strom nur noch stundenweise, fließendes kaltes Wasser nur sehr bedingt und heißes wird auf Wunsch in Eimern auf’s Zimmer gebracht. Aber man bemüht sich redlich, alles halbwegs in Schuss zu halten. So regnet es zwar in einigen der Bungalows durch die Decke, aber der Rasen ist nahezu britisch gepflegt und die Küche ist – wie man sagt – die beste von ganz Butembo und hierbei handelt es sich immerhin um eine 700.000 Einwohner Stadt .

Die ersten Dreharbeiten dann schon Nachmittag, wir besuchen die Organisation F.E.P.S.I (Femmes Engagees pour la Promotion de la Sante Integrale) um einen um einen ersten Eindruck betreffs der unfassbar gestiegenen Vergewaltigungsrate im Ostkongo im Verlauf der letzten Jahre zu bekommen. Es begrüßen uns Marie Dolorose, die Leiterin der Einrichtung, und Esperance, eine ihrer hier arbeitenden Psychotherapeutinnen. Das, was wir bereits heute zu sehen bekommen, bestätigt, dass es absolut richtig war, den Hauptdreh hier auf den Samstag zu legen, denn erst dann werden wir durch das, was wir bis dahin erlebt und erfahren haben in der Lage sein, halbwegs gefasst mit dem Grauen umzugehen, dass den beiden Frauen, die wir interviewen dürfen, widerfahren ist. In einer Projektbeschreibung der Welthungerhilfe sind die Rahmenbedingungen, unter denen die Hilfsorganisationen hier arbeiten, anschaulich zusammengefasst. Ich zitiere einige ausgewählte Stellen:

Die ethnisch, politisch und sozial bedingten Auseinandersetzungen in Ruanda führten 1994 zum Zustrom von über einer Million Flüchtlingen in das Gebiet nördlich des Kivu Sees und zum Übergreifen des Konfliktes auf den Ostkongo. Auf Grund seiner strategisch wichtigen Lage und seiner Wirtschaftskraft war die Region Ziel von ugandischen und ruandischen Militäroperationen sowie von verschiedenen Aktivitäten von „Warlords“, die wechselseitig Gewalt und Chaos in die Region trugen.

Die Bildung einer demokratisch legitimierten Regierung im Oktober 2006 wurde allseits als positives Signal auf dem Weg zu Stabilität verstanden, wenngleich auch bis zum heutigen Zeitpunkt bei vielen anderen Vereinbarungen wie z.B. der Wiedereingliederung von Rückkehrern und dem Wiederaufbau nur wenige Fortschritte zu verzeichnen sind.

Im Süden des Territorium Lubero ist die Situation stark volatil, geprägt von häufigen kleineren Kampfhandlungen, Diebstählen und temporären Vertreibungen der dort ansässigen Bevölkerung. Hier sind es von Ruanda unterstützte Einheiten, Interahamwe, Mayi-Mayi Milizen sowie das kongolesische Militär, die das Leid der Bevölkerung vergrößern. Insgesamt darf der Blick somit vorsichtig optimistisch ausgerichtet werden, wobei sehr viel von der zukünftigen professionellen Aufstellung der kongolesischen Armee und vor allem deren regelmäßigen Bezahlung abhängt.

Nach wie vor ist die humanitäre Situation katastrophal. Die der Bevölkerung zur Verfügung stehende soziale Infrastruktur liegt weit unter ihrem Bedarf und internationalen Minimalstandards. Krieg, Unruhen und politische Unsicherheit haben nahezu die gesamte soziale und administrative Infrastruktur zerstört. Staatliche Dienste sind nur noch rudimentär vorhanden und nicht mehr in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Soziale Dienstleistungen werden lediglich von kirchlichen Institutionen und NRO notdürftig aufrechterhalten. Investitionen des Staates im Bereich der Verbesserung der Infrastruktur und der Ernährungssicherung sind bislang vollständig ausgeblieben.

Am Donnerstag brechen wir früh nach Kyondo auf, wo wir in einer notdürftig betriebenen Schuleinrichtung ein fünfzehnjähriges Mädchen interviewen, das von seinem achten Lebensjahr an gezwungen war, mit den Mayi-Mayi-Rebellen marodierend nicht nur durch die Nord-Kivu-Region zu ziehen. Bewaffnet war sie lediglich mit einer Machete. Die Mayi-Mayi-(Wasser)-Miliz bezieht sich auf alte Stammesriten und behauptet beispielsweise, dass jemand, der ein Leben ohne Sünde und Ausschweifungen führt, durch ein Art Taufe mit heiligem Wasser unverwundbar wird. Ähnlich wie bei Joseph Kony’s L.R.A. im benachbarten Norduganda sind die erwachsenen Rebellen relativ zügig hinter diesen Unfug gekommen und haben sich aus dem Staub gemacht. Von da ab wurden dann massenhaft Minderjährige zwangsrekrutiert. Unsere Ex-Combattantin (so nennt man sie und ihre Leidensgenossen) ist seit drei Monaten zurück, sie hat mit einer ganzen Gruppe bei einer günstigen Gelegenheit fliehen können und besucht jetzt diese Einrichtung, die mit Rat, Tat und Geld von der Welthungerhilfe unterstützt wird. Ich bin erstaunt, in welch guter Verfassung dieses Kind ist, wie offen sie meine Fragen beantwortet. Ja, sie habe im Rahmen der Nahrungsbeschaffungs-Überfälle auch töten müssen, aber ihr sei nichts anderes übrig geblieben, denn sonst hätte sich „ der Zauber gegen sie gewendet“. Da sie vor ihrer Entführung bereits angefangen hatte, in einer Dorfschule lesen, schreiben und rechnen zu lernen, ist sie, was das betrifft, mittlerweile ziemlich weit. Sie wird seit kurzem auch zur Schneiderin ausgebildet und verkauft sogar schon ihre Erzeugnisse auf dem Wochenmarkt, was sich natürlich enorm positiv auf ihr Selbstwertgefühl auswirkt. Ähnlich verhält es sich mit einem 16-jährigen Jungen namens Paluka, den wir in seiner Schule in Kitamyaka treffen. Auch er ist im Alter von acht Jahren von den Mayi-Mayi entführt worden und im Januar entkommen. Anscheinend nicht untypisch für die Mayi-Mayi ist das Lösegeld, das seine Eltern danach an sie zahlen mussten. Jedenfalls ist seine Rebellezeit jetzt für ihn mit einer unfassbaren Selbstverständlichkeit zu Ende. Schön zu sehen, dass man auch ihn nicht brechen konnte. Er ist sich hundertprozentig sicher, dass er nach seiner Schreinerausbildung seinen Lebensunterhalt in diesem Beruf verdienen wird. Auf meine Frage, ob er womöglich stolz darauf ist, in seinen acht Jahren als Kindersoldat ca. 10 Menschen umgebracht zu haben, antwortet er schockierend ehrlich: Ja, zumindest, was den ersten betrifft, das sei ein erwachsener Mann gewesen, der sich bei einem Nahrungsbeschaffungs-Überfall in einem Dorf gewehrt habe und ihn umgebracht hätte, wenn er nicht schneller gewesen wäre. Ansonsten sei er bei drei Gefechten mit Regierungssoldaten dabei gewesen und habe die meisten Gegner mit einem Maschinengewehr erschossen, wobei ihm immer klarer geworden sein, dass er da etwas gegen seinen Willen tat. Schließlich habe er von einem Aussteiger-Programm gehört und sich abgesetzt. Nicht wenige von uns sind sprachlos angesichts seiner Abgeklärtheit, denn wir hatten wohl etwas anderes erwartet, beispielsweise einen völlig verstörten Jungen, der einem vor Reue und Scham nicht in die Augen schauen kann. Aber warum sollte er das? Haben sich die Hiltlerjungen, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges als Kanonenfutter in’s Feuer geworfen wurden, denn geschämt, wenn sie gekämpft und deshalb überlebt haben? Können wir von diesen missbrauchten Kindern wirklich Reue erwarten? Ich glaube nicht. Der wirklich Skandal ist der, dass sich die Medien der Welt von ihrem Schicksal abwenden, aus Auflage- und Einschaltquotengründen, und wir uns mit einem einzigen, jämmerlichen „Red Hand Day“ zu diesem Thema zufrieden geben, damit wir den Rest des Jahres wieder so tun können, als ob alles in Ordnung wäre. Ich bin auf jeden Fall fest entschlossen, die Lobby für diese geschundenen Kinder und Jugendlichen auszubauen, vielleicht schaffen wir es ja sogar irgendwann mal „Rebound“ zu einer weltweit vernetzten Einrichtung zu machen, und dadurch mehr Gehör zu finden.

Freitag fahren wir noch einmal nach Kyondo und Kitamyaka raus, um noch einige Szenen auf dem Wochenmarkt mit unserer Jung-Schneiderin und auf dem Fußballplatz mit unserem Jung-Schreiner zu drehen. Bei der Ankunft in Paluka’s Schule überrascht uns ein Chor, der perfekt den Refrain von „Noh Gulu“ einstudiert hat, sogar inclusive der Zeile „für’n sechere Naach“. Schaffe es trotz meiner Rührung noch, in Rekordgeschwindigkeit meine Gitarre aus dem Auto zu holen und ein, zwei Strophen zwischen die Refrains zu packen. Hoffe, das Filmteam hat die Situation optimal aufgenommen, dürfte der Knaller für den Einspieler sein.

Samstag dann die Hauptaufnahmen für F.E.P.S.I., wie erwartet emotional nur schwer zu verkraften. Als erstes reden wir mit der Mutter einer, auf ihrem Schoß sitzenden, Vierjährigen, die vor drei Tagen von einem Sechzehnjährigen aus der Nachbarschaft vaginal vergewaltigt wurde. Die Mutter hat ihn, von Nachbarn auf ihre schreiende Tochter aufmerksam gemacht, auf frischer Tat ertappt, aber entkommen lassen, weil sie und ihre Tochter bei einer Verhaftung ohnehin die Dummen gewesen wären, denn die Schande bliebe bei ihnen und der Vergewaltiger wäre ohnehin in kürzester Zeit durch die Bestechung der Gefängniswärter – zwanzig Dollar würden da schon genügen – wieder auf freiem Fuße. Ich begreife in diesen Zusammenhang erst jetzt den Begriff „geschändet“. Es ist grauenhaft, aber die Frauen haben, sobald ihre Vergewaltigung publik wird, obendrein auch noch die Schande zu schultern und sich damit abzufinden, dass sie entweder niemals heiraten werden, oder wenn sie bereits verheiratet sind, von ihrem Ehemann verstoßen zu werden. Letztendlich ist auch in Sachen Vergewaltigung als Hauptursache bzw. Nährboden die allgegenwärtige Korruption zu benennen: Sowohl bei Polizisten wie auch bei Militärs und Gefängniswärtern kommt so gut wie nichts von ihrem Sold an, der bleibt bei korrupten Vorgesetzten und Politikern hängen. Stattdessen macht die Obrigkeit dann beide Augen zu, wenn sich diese, das, was sie zu brauchen glauben, einfach von den kleinen Leuten stehlen. Man hört von Massenvergewaltigungen ganzer Dörfer, ausgeführt sowohl von regulären kongolesischen Truppen wie auch von Interahamwe, Mayi-Mayi und Tutsi-Milizen. Alle Bewaffneten haben hier Dreck am Stecken und die Bevölkerung ist ihnen schutzlos ausgeliefert. Es ist mir unbegreiflich, warum die kongolesische Regierung, deren demokratische Wahl auch die Bundeswehr im Rahmen einer UN-Mission im Jahr 2006 abgesichert hat, nicht dafür international am Pranger steht. Ohne die Unterstützung der staatlichen Ordnungskräfte können die tapferen Frauen und Männer von F.E.P.S.I. lediglich schulterzuckend den geschändeten Frauen helfen, ohne jegliche Perspektive, dass sich etwas an ihrer latenten Bedrohung ändert.
Die zweite Frauen, die wir interviewen, ist Mitte zwanzig und wurde letzte Woche mehrfach von einem Regierungssoldaten vaginal und anal vergewaltigt, der sich danach mit der Drohung von ihr verabschiedete, er käme am folgenden Abend zurück und würde es noch mal tun, es sei denn, sie brächte bis dahin 5 Dollar für ihn zusammen. Schwer auszuhalten, was wir da erfahren.

Abends essen wir dann noch einmal alle gemeinsam mit den in Butembo stationierten Welthungerhilfe-Mitarbeitern im Hotel Auberge und lassen die vergangenen Tage Revue passieren. Bei dieser Gelegenheit amüsieren wir uns auch noch einmal darüber, dass der hiesige Projektleiter Rudi Sterz bei unserem – legendären und deshalb oft erwähnten – aller ersten Auswärtsgig im Wuppertaler Jugendzentrum Röttgen als Bassist der Vorgruppe „Hochtief“ mit von der Partie war.

Morgen werden wir auf dem gleichen Weg, auf dem wir hierher gekommen sind, wieder in die Heimat zurückreisen: Über Beni, Bunia, Entebbe und Amsterdam.

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