Montag, 18.April bis Donnerstag, 28.April 2011 – Meadowfields / Gharb, Gozo
Über München fliegen wir von Köln aus nach Malta, mieten uns ein Auto und setzen über zur kleineren Nachbarinsel Gozo, wo Brigittas Familie ein dreihundert Jahre altes Landhaus besitzt. Vor so ziemlich genau einem Jahr hatten wir in Hamburg unsere Brigitta, die ich 1978 im griechischen Parga als Freundin unseres späteren Keyboarders Bernd Odenthal kennengelernt hatte, in Hamburg beerdigt, seitdem ist der Kontakt zu ihren drei Kindern nicht mehr abgerissen. Leicht nervig, das ungewohnte Autofahren auf der linken Straßenseite, was ich eigentlich aus Uganda gewohnt sein sollte, aber es ist schon ein Unterschied, ob man von jemandem chauffiert wird, der das gewohnt ist, oder sich selbst durch spiegelverkehrte Kreisverkehre quälen muss. Kommen jedenfalls irgendwie im Meadowfields an, teilen die Räumlichkeiten auf, kaufen das Nötigste im nahen Örtchen Gharb ein, der vor hundert Jahren auch nicht furchtbar ausgesehen haben dürfte (wenn man sich die Autos wegdenkt) und essen in einem der zwei zur Auswahl stehenden Lokale zu Abend. Alles bestens, zum Nachtisch noch Olivers Anruf mit der guten Nachricht, dass unser Buch in der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 8 geklettert ist.
Die folgenden Tage verlaufen geruhsam, aber es ist doch noch frischer als vermutet. Somit sitze ich im wesentlichen, nach dem Zwiebelprinzip bekleidet, in der Sonne und lese. Als erstes ist Joschka Fischers „I am not convinced“ an der Reihe, jedem ans Herz gelegt, der sich für deutsche Außenpolitik nach dem Nine-Eleven interessiert. Jammerschade, dass sich der Mann aus der Politik zurückgezogen hat, aber das behaupte ich hier ja nicht zum ersten Mal.
Natürlich erkunden wir nach und nach auch die Insel, angefangen mit der Inselhauptstadt Victoria, Unmengen von katholischen Neo-Barockkirchen, Heiligenfiguren und glühbirnenbestückten Kreuzen aller Größen.
Am Abend des Karfreitag sehen wir uns in Nadur eine Art Passionsspiel an. Die halbe Bevölkerung des Ortes hat sich in bibeltaugliche Verkleidung gehüllt und stellt in einer, von mir nicht unbedingt nachvollziehbaren Reihenfolge (vermutlich unter „Greatest Hits“-Gesichtspunkten ausgewählte) Geschichten aus dem Neuen, aber auch erstaunlicherweise aus dem Alten Testament nach. Keiner kann mir beispielsweise erklären, was Adam und Eva, Moses, Melchisedech, Isaac und Abraham in einer Karfreitagsprozession zu suchen haben, aber genaugenommen passt mir das wunderbar in den Kram, denn mit einer ähnlichen Logik habe ich ja schließlich u.a. die Genesis inklusive der Verteilung der Sprachen in „Verjess Babylon“ neu geschrieben. Völlig neu für den Katholiken in mir ist dann auch eine Ku-Klux-Clan ähnliche Gruppe, die barfüßig schwere, scheppernde Ankerketten hinter sich herzieht. Sollte mir da im Religionsunterricht etwas entgangen sein?! Jedenfalls fällt es uns bei allem Respekt vor der offen zur Schau gestellten tiefen Religiosität der Malteser nicht immer ganz leicht ernst zu bleiben, wenn die Nähe zum „Leben des Brian“ allzu deutlich wird. Auch die beiden uniformierten Blaskapellen, die filmreife Trauermärsche, an „Cinema Paradiso“, Guareschis „Don Camillo und Peppone“, aber vor allem an Scorseses „Pate“ erinnernd, beisteuern, bieten reichlich Situationskomik. Aber wie sollte es religionsmäßig auch anders sein, schließlich befinden wir uns hier nur 120 km von der muselmanischen Küste Libyens entfernt auf dem südlichsten europäischen Außenposten der römisch-katholischen Christenheit. Dass hier die vatikanische Propaganda Wirkung zeigt und für reichlich Stilblüten sorgt, ist nicht verwunderlich. Man schaue sich bloß einmal auf der Landkarte an wo wir hier sind, mal ganz abgesehen davon, dass in Libyen ein blutiger Volksaufstand gegen einen Tyrannen stattfindet und sich unsere neoliberale Regierung scheinheilig davor drückt ihn zu unterstützen.
Am Wochenende meldet sich Carl Carlton zurück aus Woodstock, wo er mit den Songdogs in Levon Helms Studio einen Song zum 50.Jubiläum von amnesty international aufgenommen hat. Vor zwei Jahren hat Carl seinen Hauptwohnsitz hierher nach Gozo verlegt und pendelt seitdem zwischen hier und seinen jeweiligen Arbeitsorten. Schön, den Mann mal nicht nur zwischen Tür und Angel zu treffen, wir gehen zusammen essen und sehen uns gemeinsam am Ostersonntag das nächste FC-Debakel an. Das sieht nicht gut aus, wobei mir allerdings auch schleierhaft ist, woher denn bitte dieser arme Frank Schaefer nach seinem erklärten Rücktritt zum Saisonende noch die nötige Autorität holen soll, um sowohl den jungen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs Selbstvertrauen zu geben, als auch wechselbereite Legionäre auf Drehzahl zu halten. Möchte momentan nicht unbedingt in Volker Finkes Haut stecken, der Kölner Boulevard dürfte momentan gerade zur Höchstform auflaufen.
Dienstagvormittag treffe ich Pascal Kravetz, Carls Bandkollegen, der im Sommer `95 als Interims-Keyboarder der Leopardefellband beim denkwürdigen Bruce Springsteen-Konzert / „Hungry Heart“-Videodreh in Berlin mit von der Partie war, in Victoria. Auch er hat seinen Hauptwohnsitz hierher verlagert und ist über Ostern für ein paar Tage auf der Insel, um sich ein wenig zu erholen. Leider ist das Wetter nicht unbedingt wie erhofft, jedenfalls kein Pool- oder Strandwetter, was aber – solange es nicht regnet – im Grunde genommen auch kein Problem ist. Für die, die nicht genug Lesestoff mitgebracht haben, gibt’s eine kleine, feine Auswahl im „Meadowfields“. So finde ich Paul Theroux „Kowloon Tong“, Anthony Burgess „Der Mann am Klavier“ und lese auch endlich mal Elke Heidenreichs Kurzgeschichtenband „Kolonien der Liebe“, in dem mir besonders die Story von Erika, dem Plüschschwein, gefällt. Wie es aussieht, habe ich jetzt auch endlich eine Lieblingsweihnachtsgeschichte.