Rebound
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Sonntag, 25.November 2012 – Kassel/ Staatstheater

Eine unglaubliche Woche liegt hinter mir. Nach dem Kaufbeurer Gig chauffiert Utz den Didi und mich zum Stuttgarter Flughafen, von wo aus wir in Richtung Berlin entschweben. Hatte, als ich der Jury für den WDR Kinderrechtepreis saß, zugesagt, dass ich im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung der ARD-Themenwoche „Leben mit dem Tod“ für eine Art Keynote-Interview zur Verfügung stünde. Wie es aussieht, bin ich wohl seit dem Schlaganfall kompetent in Sachen „Tod“. Jedenfalls eine tolle Idee, eine Themenwoche mit dieser qouten-killenden Angelegenheit anzuberaumen. Ausgesprochen mutig. Man stelle sich vor, wie so etwas beim Marktführer RTL aussähe!

Am Morgen danach fliege ich nach Istanbul, wo ich Tina treffe. Wie es der Zufall wollte, hatte Didi ausgerechnet an diesem Wochenende keine Konzertlesung gebucht, sodass wir tatsächlich Bileks und Ahmets Einladung zu ihrer Hochzeit Folge leisten konnten. Die beiden holen uns und zwei weitere deutsche Pärchen vom Flughafen ab, um gemeinsam mit uns nach Bursa überzusetzen, wo die Feier am Sonntag stattfinden wird.
Erfreulicherweise ist die Fähre ausgebucht, sodass wir noch in Istanbul mit phantastischem Blick über den Bosperus in Richtung Asien zu Abend essen können. Halil, der einige Jahre hier als ZDF-Journalist gelebt hat, kennt sich bestens aus, sodass wir uns keine Sorge machen müssen, ob wir denn nun auch heute Abend noch in Bursa eintreffen. Muss an Schmal und Mötz denken und wie wir an einem Sommermorgen 1973 am anderen Ende des Marmara Meeres an der Meerenge von Canakkale standen und fassungslos in Richtung Asien geschaut haben. Die dichterische Freiheit hat es mir erlaubt, diese Erfahrung im Song „Istanbul“ zu verarbeiten (wird übrigens höchste Zeit, dass wir den mal wieder live spielen!). Ahmet, bei dem wir dieses Jahr schon zweimal zu Gast waren, hatte uns im Oktober gefragt, ob wir nicht Lust hätten, im November ein drittes Mal in die Türkei zu kommen. Wenn wir in diesem Takt weiter machen, holen wir die vergangenen 23 Jahre, in denen wir nicht vor Ort waren, in Rekordzeit auf. Jedenfalls ein wunderbarer Spontan-Trip, den wir uns jetzt einfach mal erlauben, inklusive maximalem türkischen Hochzeits-Brimborium. Natürlich spiele ich den beiden „Maat et joot“ , schließlich war Ahmet in der besagten „Hanomag/Kuhschädel-Nacht“ mit von der Partie. Wirklich eine große Ehre, hier eingeladen zu sein und wie es aussieht werden wir uns wohl nicht erst in 23 Jahren wieder sehen.
Am Montagmorgen machen wir uns mit meiner, in Bursa erstandenen CÜMBÜŞ, einer Art Banjo, auf den Rückweg und im Flieger entnehme ich einem Artikel in der FAZ, dass die M23-Rebellen im Ost-Kongo 5 Kilometer vor Goma und im Begriff stehen, die strategisch wichtige Stadt einzunehmen. Kann mir nur zu gut vorstellen, was da im Moment abgeht. Leider erfahre ich nichts darüber, wie die Situation in Butembo und vor allem in Beni ist. Das einzige, was ich aber auch schon vorher wusste, ist dass unsere Kids bei ihren Patenfamilien untergekommen sind und unser Rebound-Compound bis auf Weiteres geschlossen bleibt.
Kaum Zuhause angekommen, muss ich auch schon wieder los, denn im Gürzenich findet die vom Kölner Stadtanzeiger ausgerichtete Veranstaltung „Entschleunigung“ statt. Fast schon Realsatire, dass ich ausgerechnet nach dieser Jet-Set-Woche an einer Entschleunigungs-Veranstaltung teilnehme…..ävver: wat willste maache?! Bin erstaunt, dass dieser Abend restlos ausverkauft ist, immerhin fasst der Gürzenich 2000 Leute. Die Organisatoren verraten mir, dass sie die Veranstaltung auch zweimal hätten ausverkaufen können.

Ab Dienstag-Vormittag arbeite ich für die kommenden vier Tage mit Julian Dawson an ein paar Songs. Ein Zeitfenster, dass wir uns schon vor einigen Monaten reserviert hatten. Julian wohnt bei uns und es wurde wirklich mal höchste Zeit, dass wir uns nicht immer nur „on the Road“ treffen, sondern es uns mal richtig gemütlich machen. Am Freitagabend noch mit ihm, Gentleman und Hellmän zum FC-Spiel gegen Bochum und am Samstagmorgen kutschiert Tina Julian zum Flughafen.
Der Samstag geht mit Nach- und Vorbereitungen drauf, was mich aber nicht davon abhalten kann, mir in aller Ruhe die Bundesliga-Konferenz auf sky zu geben, schließlich hat der FC bereits am Freitag drei Punkte geholt (Champions-League – wir kommen!!).

Heute dann per ICE über Frankfurt nach Kassel. Der Gig am Staatstheater kam durch den Mötz zustande, der seinem alten Freund, dem Intendanten Thomas Bockelmann kundgetan hatte, dass ich hier mal gerne auftreten würde. Stelle das Programm minimal um, indem ich zuerst „Moment“ spiele, denn seitdem Oliver nicht mehr das „Vorwort“ macht, ist es für mich manchmal etwas schwierig ins kalte Wasser zu springen. Da hilft es, wenn ich erstmal meine Visitenkarte abgebe und diesen Song spiele, der ja schließlich dem Buch seinen Namen gab. Alles läuft prächtig, eigentlich wieder mal eine Lesung, die man auf Band haben sollte. Gut, dass keiner in meinen Kopf schauen konnte als ich die Kindersoldaten-Passage gelesen habe. Goma ist inzwischen von den M23-Rebellen eingenommen worden und, da der unfähige kongolesische Präsident Kabila sich weigert mit ihnen zu verhandeln, sieht alles nach einem zukünftigen Flächenbrand aus. Die Rebellen drohen, sich auf den Weg nach Kinshasa zu machen, um ihn zu entmachten. Wüsste wirklich zu gerne, wie die Situation bei uns in Beni ist und ob wir irgendwas sinnvolles tun können. Nach „Vill passiert sickher“, die nach diesem langen Set einzige Zugabe, gehen die Leute einfach nicht und ich frage die Inspizientin, ob man in dem Fall noch eine Nummer bringen sollte. „Aber klar!“, meint sie und ich spiele, nachdem ich mich rückversichert habe, dass auch ausreichend Exil-Rheinländer im Publikum sind, noch den „Stammbaum“. Erstaunlicherweise funktioniert der Song auch in Kassel.

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