Rebound
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Amsterdam, Lagos, Kano, Abuja (Nigeria)

Katja Bühler und Holger Ehmke von der Bundeszentrale für politische Bildung hatten mich vor einem Monat nach dem parlamentarischen Frühstück in Berlin gefragt, ob ich Zeit und Interesse daran hätte, mit auf eine Stipendiatenreise durch Ghana und Nigeria zu kommen. Zunächst erschien mir der zur Verfügung stehende Zeitraum etwas knapp, aber als ich dann herausfand, dass der Nigeriateil der Reise exakt die Städte umfasst, die ich im Verlauf der „Partnership with africa“-Konferenz vor zwei Jahren ja nicht wirklich sinnlich erfassen konnte, sagte ich für diese äußerst kurze Woche dann doch noch zu. Während des Hinflugs komme ich auf der Strecke Amsterdam – Lagos endlich dazu, eine Textidee auf eine schon länger vorliegende Musik von Helmut auszuarbeiten. Während der WN & Co.-Tour war mir das nie gelungen, obwohl mir die Story eindeutig eines Nachts beim Zappen in irgendeinem Hotelzimmerbett gekommen war. Keine Ahnung mehr wo, jedenfalls lief ich seitdem mit den beiden Worten „Ach so!“ im Kopf herum. Der Rest, jedenfalls eine erste Fassung davon, kommt also seit langer Zeit endlich mal wieder im Verlauf eines Langstreckenflugs dazu. Zuletzt war mir das mit „Zwei Päädsköpp“ während eines Fluges nach Washington gelingen, und das dürfte locker sieben Jahre her sein. Die Ankunft in der Megacity Lagos (18 Mio. Einwohner) gerät entsprechend chaotisch. Da wir leicht verspätet landen, ist das Abfertigungspersonal hoffnungslos überfordert und das Abfertigungsgebäude entsprechend überfüllt, weil zeitgleich ein weiterer Airbus landet, und diese Passagiere sich jetzt mit uns durch dasselbe Nadelöhr zwängen müssen. Es dauert gut zwei Stunden, bis ich schweißgebadet sämtliche Formalitäten hinter mir habe und von Holger Ehmke und Rainer Lösel, einem alten Nürnberger Afrika-Haudegen der mit seiner Agentur „Ivory Tours“ für die gesamt Logistik unserer Reise zuständig ist, eingesammelt werde. Obwohl ich ziemlich gerädert bin, nehme ich noch bevor ich mein Zimmer beziehe an einer Kulturveranstaltung teil, die von der großartigen nigerianischen Tanzgruppe „Crown Troupe of Africa“ ausgerichtet wird. Deutlich besser als so manches, was ich in den vergangenen sechs Jahren auf diesem Kontinent gesehen habe. Tolle Tänzer, klasse Choreographie, beeindruckender Chorgesang und vor allem viel Humor. Die können tatsächlich auch über sich selber lachen und beschränken sich eben nicht darauf, Afrika-Anfänger wie die meisten der teilnehmenden Studenten mit todernsten, bedrückenden Themen fertig zu machen. Ein prima Einstieg, bin aber doch froh, endlich ins Bett zu kommen.
Am Mittwochmorgen finden ab 9.00 Uhr zwei Vorträge mit anschließender Diskussion zu den Themen „Demographie und öffentlicher Nahverkehr in Lagos“ und „Petrodollar in der Entwicklung Nigerias und die Herausforderungen der Niger Delta-Region“ statt. Interessante Veranstaltungen, besonders ab dem Moment, wo die Referenten frei sprechen anstatt Referate vorzulesen. Bei den anschließenden Diskussionen bin ich tatsächlich überrascht, mit wie viel Engagement und Biss die Stipendiaten bei der Sache sind. Die wollen ’s tatsächlich wissen. Der für den Nachmittag geplante Besuch eines Drehs auf einem „Nollywood-Set“ entfällt. Stattdessen sind wir eingeladen, einen Regisseur am Schnittplatz bei der Arbeit zu besuchen. Gut, dass der Mann keinerlei Allüren hat, sondern im Gegenteil über das was er tut lachen kann. Das, was wir hier zu sehen kriegen, bewegt sich allenfalls auf unterstem Seifenoper-Niveau. Es sind fadenscheinigste, auf Zielgruppen produzierte Filmchen, mit denen sich allerdings offensichtlich richtig Geld machen lässt. Bewundernswert allerdings, unter welchen technischen Voraussetzungen die Leute hier arbeiten, da ist in Deutschland so manch ein Jugendzentrum besser ausgerüstet. Das gemeinsame Abendessen mit einigen Nollywood-Profis (Regisseure, Schauspieler, Kameraleute und Produzenten) bestätigt mein Bild von dieser inzwischen weltweit bekannten Szene. Es handelt sich hierbei in erster Linie um eine äußerst lukrative Geschäftsidee. Bin mir zwar sicher, dass es auch Filmemacher geben muss, die mehr Anspruch haben als dieser zwar nette, aber letztendlich dann doch neureiche Haufen hier, aber die kriegen wir halt nicht zwischen. Die erfreulich offenen und lockeren Gespräche während des Essens drehen sich fast ausschließlich um kommerzielle Gesichtspunkte. Schade, aber ich hätte als Filmfan gern etwas mehr über die Möglichkeiten engagierter Filmemacher erfahren. Vermutlich ist es ganz einfach: Die fallen halt nicht unter das Label „Nollywood“.
Am nächsten Morgen direkt nach dem Frühstück zum Airport. Der Straßenverkehr in Lagos macht einen fassungslos. Sowas kann man sich als Europäer einfach nicht vorstellen: Absoluter Verkehrs-Darwinismus, nur wer sich anpasst überlebt, wer zögert kommt keinen Meter von der Stelle. Gut eine Stunde später als geplant treffen wir dann gegen 15.00 Uhr im Hotel in Kano ein und müssen uns sehr beeilen, zwei sogenannte Straßenkinderprojekte wie geplant noch zu besuchen. Man muss hierzu wissen, dass in der zehn Millionenstadt Kano eine Million obdachlose Kinder dazu gezwungen sind, sich als Bettler durchzuschlagen. Man stelle sich das vor: Mehr als die Einwohner Kölns machen sich Tag für Tag mit einem Plastiknapf auf den Weg, um sich irgendwo ein paar Essensreste zu erbetteln, durchwühlen Müllhaufen und Container, um den allgegenwärtigen Ziegen zuvorzukommen, die sich auf ähnliche Weise durchschlagen. In der gesamten Stadt flattern überall Myriaden von leeren Plastikbeuteln durch die Gegend, ehemalige Mülltüten, deren organischer Inhalt durch die Mägen von Kindern und Ziegen gewandert ist. Muss unentwegt an Bob Dylans Song „Dignity“ denken und kann mir gut vorstellen, was durch die Köpfe der Stipendiaten geht, die so etwas wohl zum ersten Mal im Leben sinnlich erfahren. Jedenfalls übernachten die „glücklicheren“ Bettler in größtenteils erbärmlichen Verschlägen, die von korankundigen älteren Männern betrieben werden, in denen sie ab und zu schon mal einen Teller Reis, aber vor allem anhand von Koransuren lesen und schreiben beigebracht kriegen. Das kann man jetzt finden, wie man will, aber wenigstens das passiert hier. Weniger angenehm auf der anderen Seite allerdings die Einsicht, auf welchem Pulverfass der mohammedanische Norden Nigerias sitzt. Carlos Ruiz Zafon fällt mir ein, der im „Das Spiel des Engels“ sinngemäß geschrieben hat: Der erste Schritt zum leidenschaftlichen Glauben ist die Angst. Die Angst ist das Pulver und der Hass der Docht. Letzten Endes ist das Dogma dann ein brennendes Streichholz.
Die erste Hälfte des Freitags verbringen wir mit einer Stadtrundfahrt und dem Besuch eines Marktes gegen den mir alles, was ich jemals in Marokko gesehen habe, ausgesprochen neuzeitlich vorkommt. Das hier ist tiefstes Mittelalter, wenn man mal von den chinesischen Billigstprodukten absieht, die selbst diese gottverlassene Gegend gnadenlos überschwemmen. Nachmittags zwei Veranstaltungen zu den Themen NEPAD / ECOWAS und den Rollen Ghanas und Nigerias in diesen Wirtschaftsorganisationen sowie „Klimawandel und Desertifikation in Nord-Nigeria“. Das war’s an Offiziellem. Nach dem Abendessen noch mit Rainer, unserem Afrika-Haudegen, auf ein Bier in eine Open Air-Bar in die von Polizeiposten abgesicherte „Non-Sharia-Zone“ Kanos. Eine gespenstische Szenerie: Lauter muskulöse Herren, die entweder Billard spielen oder auf Großleinwänden irgendwelche Wrestling-Kämpfe verfolgen. Manche von ihnen sind offensichtlich geschäftlich hier und zwar als „Beschützer“ einiger „girlfriends for tonight“. Gut, dass wir noch vor Mitternacht zurück im Hotel sind, denn der Samstag wird es in sich haben: 600 km bis Abuja liegen vor uns, von wo ich abends wieder nach Hause fliegen werde. Allerdings nicht, ohne noch mal in Kano (!!!) zwischenzulanden, wo ich aus irgendwelchen Gründen mit meinem Ticket nicht zusteigen durfte. Schilda in Nigeria! Andererseits möchte ich aber auch diese Autofahrt (jetzt, nachdem ich sei überlebt habe) nicht missen: Vierspuriger Verkehr ohne jegliche verbindliche Verkehrsregeln. So was habe ich seit meinen ersten Türkeireisen Anfang der Siebziger auf dem jugoslawischen Autoput nicht mehr erlebt. Gut, dass mir Vivian die letzten 1 ½ Stunden mit einer, auch vom Ergebnis her wunderbaren SMS-Reportage vom Spiel gegen Hannover versüßt hat. Ein Genuss auf den Manfred, ihr Mann, wohl verzichten musste, denn der befindet sich gerade auf einem Grönland Trip. Merkwürdige Vorstellung.

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