Berlin – Lehrter Bahnhof (Hbf)
Sind schon gestern per ICE nach Berlin gefahren und wohl zum letzten mal am Bahnhof Zoo ausgestiegen. Die Rückfahrt werden wir schon im dann neu eingeweihten Hauptbahnhof antreten. Dazwischen liegen aber erst noch zwei Tage Eröffnungsfeierlichkeiten des neuen Hauptbahnhofs, der eigentliche Grund unserer Reise.
Freitag Abend vor dem Reamonn-Konzert nehmen wir die Gelegenheit wahr, uns diese moderne Architektur- Kathedrale mal in aller Ruhe, noch im jungfräulichen Zustand anzusehen. Unberührt von internen Berliner Problematiken, wie Anfahrt, nostalgische Bindung an den „guten alten Bahnhof Zoo“ und ganz zu schweigen davon, dass sich die vorgesehenen Baukosten fast verdoppelt haben, bin ich schon beeindruckt von der klaren Konzeption, der Übersichtlichkeit und der funktionalen Unaufdringlichkeit dieses Zweckbaus.. Auch die Aussichten auf die in unmittelbarer Nähe liegenden Regierungsgebäude symbolisieren die Idee eines Hauptstadtbahnhofs in perfekter Weise. Von außen gesehen, ahnt man definitiv nichts von seinem achtstöckigen Innenleben. Denn die Hälfte der Etagen ist unterirdisch angelegt und die komplette Nord-Süd-Achse wird durch ein Tunnelsystem geleitet.
Weil ich mit meinen Mädels hier bin – die Gelegenheit ob des schulfreien Himmelfahrtsfeiertages und einem daran gehangenen Brückentag war günstig – sind wir bereits vor dem auf 23:00 Uhr angesetzten Licht-und-Feuerwerk-Spektakel ins Hotel zurück gefahren, um ausreichend Kondition für den Samstag zu tanken. Somit erfahren wir dann auch erst morgens aus den Frühnachrichten von dem Amoklauf eines sechszehnjährigen Messerstechers, der nach der Großveranstaltung wahllos 28 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt hat. Eine Tat, die einen ratlos macht. Wozu wird der Hass noch alles führen?
Die Gewalt von Neonazis gegen Ausländer hat im Vorfeld der WM vor allem in den neuen Bundesländern in Besorgnis erregenden Ausmaßen zugenommen, was einen nicht gerade beruhigt auf das einmonatige Fußballfest einstimmt. Keine Ahnung, was eine Gesellschaft, die der Börse die soziale Verantwortung überlässt, dieser Entwicklung entgegensetzen will. Was hatte ich mich noch vor ein paar Tagen über das „ausländerfreundliche“ Fußballspiel einer Celler Stadtauswahl gegen die dort stationierte angolanische Nationalmannschaft gefreut. Ein wunderbares Gegenbeispiel. Aber ein Teil unserer perspektivlosen jugendlichen Bevölkerung scheint bereits durch Proll-Fernsehen und Gewaltvideospiele derart verroht in einem Paralleluniversum angelangt zu sein, das sich von keiner noch so hohen Mauer vom friedlichen Teil der Menschheit abtrennen lassen wird. Gewinnmaximierung darf nicht alles sein, sonst fährt unsere Zivilisation unweigerlich gegen die Wand.
Nachdem feststeht, dass trotz allem auch das heutige Eröffnungsprogramm stattfinden wird, überlegen wir natürlich, inwiefern wir unsere Setliste den Umständen entsprechend umstellen, lassen sie dann aber doch weitgehend wie vorgesehen. Denn irgendwie ist auch nicht wirklich einzusehen, wieso man sich von einem „Spielverderber“ das Gesetz des Handelns diktieren lassen soll.
Ich versuche meiner Ratlosigkeit während der Ansage zu „Unger Krahnebäume“ („Ein Lied über Glaube, Liebe und Hoffnung“) Ausdruck zu verleihen, ansonsten ist unsere Flexibilität in erster Linie wieder einmal vom äußerst ungünstigen Wetter gefordert. Fünf Minuten vor dem geplanten Showbeginn ein stürmischer Wolkenbruch, der die Bühne erst mal unter Wasser setzt. Dann mit einer gut viertelstündigen Verspätung ein Konzert im Dauerregen vor Tausenden von Regenschirmen. Wieder einmal ein Riesenkompliment an unsere Fans, die ein enormes Standing beweisen; aber auch an unsere Crew, für die derartige Voraussetzungen langsam zum Normalzustand werden.
Laut Stackman, der heute den Ton für unsere Direktübertragung des RBB gemacht hat, sollen wir sogar richtig gut gewesen sein. Trotzdem – oder gerade deshalb – darf ich gar nicht daran denken, welch ein Konzert das unter optimalen Voraussetzungen geworden wäre.