Rebound
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Entebbe – Kigali

Flug GAF875 Entebbe-Kigali

Drei ereignisreiche Tage in Uganda liegen hinter uns. Während in Köln der Karneval tobte, ging es für den Bundespräsidenten und seine Entourage ohne nennenswerte Pausen von Termin zu Termin. Ein dicht gedrängtes Programm, wie ich es schon von den beiden vorherigen Reisen dieser Art kannte.

Viel dazugelernt, einige neue Gesichtspunkte, auf die man außerhalb einer solchen Delegation nicht unbedingt kommt. Natürlich auch reichlich Zeremoniell, selbstverständlich bei einem Staatsbesuch, auch wenn es einem oft wie Zeitverschwendung vorkommt. So dauert es beispielsweise mitunter unerträglich lange, bis bei Kurzvorträgen und Diskussionen jemand vor lauter Danksagungen und Respektbezeugungen zur Sache kommt. In der Regel wird eine solche Angelegenheit erst nach zwei Dritteln der insgesamt dafür vorgesehenen Zeit interessant und man würde gerne oft noch bleiben, um ggf. tiefer in die Materie einzudringen zu können, was dann aber nicht mehr möglich ist, ansonsten käme ja das Gesamtprogramm unaufholbar in Verzug. Besonders interessant nach dem ganzen Brimborium auf dem Flughafen von Entebbe und anschließend im nagelneuen Präsidentenpalast des Yoweri Museveri, das Gespräch mit den Vertretern deutscher staatlicher EZ-Organisationen und politischer Stiftungen. Diese Veranstaltungen (so denn Klartext gesprochen wird) sind für den weiteren Verlauf des Aufenthalts natürlich enorm wichtig. Ohne sie würde man, gutwillig wie die meisten von uns in Sachen Afrika nun mal sind, mit Sicherheit öfter an der Nase herumgeführt werden, als einem lieb sein kann.

Letztendlich geht es in erster Linie den Regierenden hier um einen möglichst hohen Budgethilfeanteil ihres Staatshaushaltes durch die Geberländer. In diesem Zusammenhang stimmt es dann (vorsichtig ausgedrückt) nachdenklich, wenn man erfährt, dass Uganda für die Durchführung des Commonwealth-Meetings den achtfachen Betrag der Investitionen zur Befriedung des Bürgerkriegsgebiets im Norden ausgegeben hat. Auch die Tatsache, dass man inzwischen zehntausend „Geisterbeamte“ aufgedeckt hat, stimmt nicht gerade zuversichtlich. Die einzig positiven Aspekte daran sind, dass diese Phantome halt jetzt nicht mehr auf der Payroll der Regierung stehen und dass man das lange bekannte Problem endlich angegangen ist.
Wenigstens gibt es hier zwei miteinander konkurrierende Tageszeitungen, von denen zumindest eine sich wagt, die Regierung zu kritisieren, so etwas wie ein oppositionelles Korrektiv zu sein. Die wichtigsten Medien allerdings sind bei all den Analphabeten und dem völlig unzureichenden Straßennetz die ca. 140 Radiostationen, die auch den letzten Weiler an der sudanesischen Grenze erreichen, so denn ein Transistorradio vor Ort ist.

Rosenmontagmorgen Diskussion mit Dozenten und Studenten des interdisziplinären Studiengangs „Peace and Conflict Studies“, der vom DED (Deutscher Entwicklungshilfedienst) unterstützt wird. Ca. 45% der Studenten der Macarere-Universität sind weiblich und so sind es dann auch (wenig erstaunlich) drei Mädels, die sich nach dem zeitraubenden Umherschweifen ihrer männlichen Kommilitonen schließlich zu Klartext aufraffen. Bezüglich der Friedensverhandlungen mit der LRA im südsudanesischen Juba erfahren wir von ihnen, dass hieran lediglich zwei Frauen teilnehmen. Ein Hohn, wenn man bedenkt, wie sehr gerade Frauen seit 21 Jahren unter dem Bürgerkrieg leiden und ihre kindereichen Familien ohne großartiges Zutun ihrer Männer über die Runden bringen. Ich frage mich nicht zum ersten mal, wie viel schlimmer noch die Zustände in Schwarzafrika wären, wenn seine Frauen nicht so tatkräftig zupacken würden.

Danach mit der Frau des Bundespräsidenten, Eva Köhler, zur Kampala-Music-School, wo sich vor allem eine Brass-Band, bestehend aus lauter ehemaligen Straßenkindern, in unsere Herzen spielt.
Es folgt ein Mittagessen mit ugandischen Publizisten, Intellektuellen und Vertretern der Zivilgesellschaft zum Thema „Entwicklung der Demokratie in Uganda“ , gegeben vom deutschen Botschafter. Natürlich landet das Gespräch relativ flott bei den Unruhen im benachbarten Kenia, einem Land, das man offensichtlich bezüglich seiner Demokratiefähigkeit überschätzt hatte. 1000 Menschenleben sind nach dem Wahlbetrug im Dezember inzwischen zu beklagen, der Mob tobt und die Polizei gießt Öl in’s Feuer. Keiner der beiden Kontrahenten tut auch nur annähernd irgendetwas Weises, das seine jeweiligen Anhänger beruhigen könnte und so massakrieren sich im wesentlichen zwei Stämme gegenseitig, denn der eine hat den amtierenden Präsidenten gewählt und der andere seinen Herausforderer. Herzlich Willkommen im „Herz der Finsternis“, diesmal im Musterländle Kenia!

Man kommt nicht umhin, sich einzugestehen, dass auch hier mangelhafte Bildung und Arbeitslosigkeit unzähliger junger Männer die Ursache der prekären Situation sind, die zum Flächenbrand zu werden droht. Perspektivlosigkeit ist der ideale Nährboden für Gewalt und ganz nebenbei: Sowohl Uganda als auch Ruanda sind, was Energie betrifft, fast vollständig auf die Öltransporte durch ihr Nachbarland angewiesen, die Gefahr einer Kettenreaktion ist vorhanden.

Für 15:00 Uhr ist ein offizielles Begrüßungszeremoniell inclusive Abschreiten einer Ehrenformation und Abspielen der Nationalhymnen vor dem Parlamentsgebäude terminiert. Ganz ohne Blasmusik komme ich also am heutigen Rosenmontag doch nicht davon.

Das anschließende Gespräch mit Abgeordneten von Regierung und Opposition im Gebäude bringt wenig Erhellendes, ist aber offensichtlich zur Stärkung der hiesigen Demokratie von wichtiger symbolischer Bedeutung. Ähnlich verhält es sich mit dem nächsten Programmpunkt, der uns zurück nach Entebbe in den Präsidialpalast führt. Während Köhler und Museveni sich unter vier Augen unterhalten, versucht die Delegation den nicht unbedingt leidenschaftlich vorgetragenen Ausführungen der Minister zu folgen. Erst als die beiden Chefs nach Beendigung ihres Gesprächs dazu kommen, wird die Angelegenheit lebendig. Ohne ihren „Big Man“ herrscht eher Verlegenheit. Bloß nicht in irgendein diplomatisches Fettnäpfchen treten! Nahtloser Übergang zur Pressekonferenz der beiden Hauptakteure, bei der es die mitgereiste deutsche Presse doch tatsächlich, sozusagen über Bande gespielt schafft, einen ugandischen Journalisten Köhler nach einer zweiten Amtszeit fragen zu lassen.
Wer sich dann wohl, im Falle einer Nicht-Kanditatur, in Deutschland noch für Afrika einsetzen würde. Jedenfalls bekommt man noch im Verlauf des weiteren Abends, beim festlichen Staatsbankett, noch öfter zu hören, wie sehr sich die Ugander über das leidenschaftliche Engagement des Bundespräsidenten für Afrika freuen.

Zurück nach Kampala um am Dienstag morgen erneut nach Entebbe rauszufahren Es geht mit einer eigens für diesen Zweck hierher geflogenen Bundeswehr-Transall nach Gulu. Wie man hört, war es gar nicht so einfach, hierfür die Erlaubnis der ugandischen Regierung zu bekommen. Erst durch einen persönlichen Anruf Köhlers bei Museveni kam schließlich ein zähneknirschendes Okay. Lieber hätte man wie gewohnt nur den halbwegs intakten Süden des Landes (genauer gesagt die für das Commonwealth-Meeting aufgetakelte Strecke Entebbe-Kampala) vorgeführt, aber der Bundespräsident war offensichtlich wild entschlossen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Die komplette Medienmeute weiß jetzt, was da abgeht und nur die Zyniker unter ihnen werden das, was sie dort gesehen und gehört haben, erfolgreich verdrängen können. Zunächst ein Gespräch mit Vertretern aus dem Bereich Politik und Kultur zu den Themen „ Befriedung des Nordens, Rückkehr der Binnenflüchtlinge, Wiedereingliederung von ehemaligen LRA-Angehörigen und Verschleppten“. Unter anderem wird der Standpunkt vertreten, der Friedensprozess biete für Uganda auch eine Chance, endlich zur Nation zu werden. Bin mir da nicht so sicher, obwohl es natürlich wünschenswert wäre. Zu wenig hat man sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Kampala um den Norden gekümmert und die längst überfällige Entschuldigung für dieses Desinteresse wird wohl noch lange auf sich warten lassen. Einleuchtend der Vergleich des Bischofs, der die Entwicklung hier oben mit einem Taucher vergleicht: Dieser hätte die Strecke von der Wasseroberfläche bis zum tiefsten Punkt seines Eintauchens in umgekehrter Richtung notgedrungen noch einmal zu bewältigen. Für den Lacher der Veranstaltung sorgt Köhler selbst, als er das an seine Frau gerichtete Kompliment, hinter ihm, dem starken deutschen Mann, stehe wohl auch eine starke Frau, erwidert. Er wünsche sich, hinter jeder starken afrikanischen Frau stünde ein ebenso starker afrikanischer Mann (siehe oben!).

In der Universität Gulu findet anschließend die feierliche Eröffnung bzw. Übergabe des Lehrstuhl für Psychotraumatologie durch den stiftenden deutschen Bundespräsidenten statt. Eine hervorragende Idee, gerade hier Fachkräfte auszubilden, die sich mit den Massen von traumatisierten Menschen befassen können.
Im IDP-Camp (Lager für Binnenflüchtlinge) Coo Pe, treffe ich dann auf vertraute Gesichter, denn dieser Programmpunkt wurde von World Vision vorbereitet. Bettina Baesch ist da, Simon, Lucy, und Christine Akello steht bereit, meine Ansage zu „Noh Gulu“ in Acholi zu übersetzen. Für mich der Gänsehautmoment der bisherigen Reise. Im Zeitraffer läuft, während ich den Song endlich mal vor Ort ohne technische Probleme singe, so ziemlich alles ab, was ich hier oben seit dem August 2004 erlebt und erfahren habe. Da steht doch tatsächlich diese 22-jährige Mädchen, Mutter einer 8-jährigen Tochter, über dessen Schicksal Sönke Weiss sein erschütterndes Buch geschrieben hat, der Bundespräsident sitzt nur ein paar Meter entfernt, und die deutschen Medienleute erleben, wie Hunderte von Kindern und Jugendlichen auf meine von Christine übersetzte Bitte die Hand zu heben, wenn man Nachtpendler war, ihre Arme nach oben reißen und nach und nach den Refrain auf Acholi mitsingen „Vot Gulu“. Ich denke auch an Michael Oruni, der mir alles gezeigt hatte, den ich noch im Mai des vorigen Jahres, einen Monat, bevor er völlig unerwartet an einem Schlaganfall gestorben ist, in Kampala getroffen hatte. Zu gern hätte ich ihn gefragt, ob er sich noch an das Mädchen erinnert, das damals im Nachtpendler-Zelt zu mir den Satz „Please Mister, promise not to forget“ gesagt hatte. Ob sie mitkriegt, dass ich versuche, mein Versprechen zu halten?

Schön zu sehen, wie einfühlsam Köhler sich später im kleineren Kreis mit drei frei gekommenen ehemaligen Kindersoldaten unterhält, unter ihnen auch Christine. Viel zu schnell sitzen wir dann wieder in unserer Transall und fliegen nach Entebbe zurück. Schade, aber logistisch war da nicht mehr machbar, eine Übernachtung der kompletten Entourage wäre schon alleine aus Hotel-Kapazitäts-Gründen unmöglich gewesen.
Aber so wie es aussieht, werde ich ja wohl im September zur Eröffnung der Rebound-Centers wieder in Norduganda sein. Abends noch eine Tanzaufführung zum Thema Kindersoldaten mit anschließendem Empfang des deutschen Botschafters, bei dem man sich wenigstens mal mit einigen wenigen alten Bekannten außerhalb des Programms austauschen konnte und heute morgen dann weiter nach Kigali.

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