Mittwoch, 30.März 2011 – Köln, MS RheinEnergie
Natürlich fängt der Tag mit dem erwarteten familieninternen Geburtstagsbrett an. Der bayrische Teil der Familie ist angereist und die Kölner Fraktion hat sich mir zu Ehren ebenfalls in Allerherrgottsfrühe aus den Federn gequält. Bis 11:00 feiern wir somit im erweiterten engsten Kreis, dann muss ich auch schon wieder ins Büro, weil wir halt in der heissesten Promophase sind. Kein Problem, so war’s geplant. Zu meiner Verblüffung steht vor unserer Haustür ein weißer Benz, Baujahr 1970, mit Weißwandreifen und jeder Menge roter Schleifen und Luftballons. Der Blick auf das Kennzeichen K-WN 87 beseitigt letzte Zweifel; Familie und Freundeskreis haben tatsächlich zusammengelegt, damit ich (Zitat Severin) “…endlich mal mit einem Auto durch die Gegend fährst, das zu dir passt…“. Meine A-Klasse war allen (außer mir) von Anfang an ein Dorn im Auge, für mich ist die Karre lediglich die Fortsetzung meiner Kastenente mit anderen Mitteln (und wird jetzt übrigens nicht abgeschafft!!). Muss eine unglaubliche Aktion gewesen sein, diesen Oldtimer mit lediglich 87 000 km auf dem Tacho, der seit über zwanzig Jahren in einer Berliner Scheune geparkt war, wieder zum Anspringen und nach Köln zu kriegen. Jetzt weiß ich jedenfalls endlich, worum es bei all den Tuscheleien in den vergangenen Wochen ging. In der Tat ein rührendes Geschenk, auch wenn ich nicht so richtig kapiere, was ich damit soll. Sehe es mal einfach pragmatisch: Jetzt haben wir ein Kfz mehr im Fuhrpark und das war, seit sich der Ford-Kurier meiner Söhne in Richtung Schrottplatz verabschiedet hat, auch langsam an der Zeit. Mein Neffe Harald, der als einziger von den Niedeckens noch in meinem Elternhaus wohnt, überrascht mich mit dem riesigen Blechschild, das früher über unserem Laden hing. Josef Niedecken/ Lebensmittel/ Feinkost. Wusste gar nicht, dass das Teil noch existiert, Harald hatte es die ganzen Jahre im Keller der Severinsstraße gelagert und heute schien ihm die Zeit reif, es in meine Obhut zu geben. Gut so, denn da ist es optimal aufgehoben. Vom Büro dann zu Fuß zur Rheinenergie, wo es wieder unmittelbar mit Interviews losgeht. Einige Fernsehteams sind zugegen und Moni hat ein Filmteam zusammen gestellt, das den ganzen Event festhalten soll, damit wir – wenn wir es brauchen für eine Dokumentation zur Verfügung haben. Ausführlicher Soundcheck, spielen sämtliche Songs vom neuen Album durch. Mir ist klar, dass ich alkoholfrei durch die Party muss, da höchste Konzentration angesagt ist. Bis zur Show sind noch tausenderlei Kleinigkeiten zu organisieren, gehe praktisch von Didi’s (und meinem) Arbeitsplatz auf die Bühne. Großartiger Anblick: Obere Ebene Familie, Freunde, Emi und Medienvertreter, unten die Fans die schnell genug waren sich ein Ticket zuzulegen. Scheint geklappt zu haben, was wir uns im Vorfeld ausgedacht hatten, nämlich am Vortag des offiziellen Vorverkaufstarts durch eine Notiz auf unserer Homepage einen kleinen Vorsprung für “die Unheilbaren“ zu ermöglichen. Nicht in den Griff zu kriegen, war leider das Problem der Schwarzmarktpreise. Wie es scheint, hat meine Band in der Probenwoche eine kleine Sonderschicht eingelegt, denn anstatt wie geplant mit “Halv su wild“ anzufangen, legen sie mit “Birthday“ vom weißen Beatles-Album los. Stehe also einen Song lang tatenlos auf der Bühne rum, um mich abfeiern zu lassen, was allerdings noch längst nicht alles war. Als nächstes erscheint unser alter Freund Frank Lauffenberg auf der Bühne, um eine kleine Geburtstagsansprache zu halten, die auf der Story mit dem Kuhschädel aus “Maat et Joot“ rausläuft, der mir dann auch prompt von meiner Süßen (“…damit du nur ja nie zu einem Otto wirst“) überreicht wird. So weit, so gut. Wir machen weiter mit Musik. Das Programm aus hauptsächlich neuen Songs, war ursprünglich auf anderthalb Stunden ausgelegt, gerät aber dann durch sich ergebende Plaudereien meinerseits deutlich länger. Kunststück sehe ich doch vor mir Unmengen von Leuten, die etwas mit den anzusagenden Liedern zu tun haben, von meinen Rheinischen Schülerbandkollegen Hein Pelzer, Wilfried Hennig und Bernie Schuhmacher über die Ur-Baptisten Hans Heres und Bernd Odenthal bis zu Kalau, Effendi Büchel und Frank Hocker. Wim und Sonata Wenders stehen neben meiner (gefühlten) Schwester Käthe, Tina’s 91-jährigen Patentante Ilse nickt zwischendurch in ihrem Logensessel schonmal glücklich auf ein Schläfchen ein. Joachim Krol plaudert mit Alfred Biolek und auch die anwesenden Fußballer haben Spaß, von Ewald Lienen über Winnie Schäfer und Dieter Müller, bis zu denen, die plötzlich während meiner Ansage zu “Woröm dunn ich mir dat eijentlich ahn?“ auf der Bühne auftauchen: Hannes Löhr, Bernd Bullmann, Wolfgang Weber, Matthias Scherz und Christian Springer überreichen mir ein gerahmtes schneeweißes FC Trikot aus der “Real Madrid von Rhein-Epoche“ mit den Signaturen sämtlicher Altinternationalen, von Jupe Röhrig bis Hans Schäfer, von Karl-Heinz Thielen bis Wolfgang Overath. Poldi hat noch ein Paar signierte Fußballschuhe drangehangen und Hannes “die Naas“ Löhr hält eine ausgesprochen lustige Geburtstagsansprache dazu. Nach “Songs sinn Dräume“ ist unser Konzertteil dann endgültig beendet, was aber nichts heißen soll. Es folgen die, die mir noch spontan Ständchen bringen wollen. Den Reigen eröffnet der extra zu diesem Anlass aus London eingeflogene Julian Dawson mit dem Kinks-Klassiker “Sunny-Afternoon“, es folgt eine Kollaboration meiner Bap-Mitmusikanten mit drei reunierten Fury in the Slaughterhouse-Kollegen, Christoph Stein-Schneider und den beiden Wingenfeld-Brüdern. Raffe jetzt auch endlich mal, wieso sich Tina in den vergangenen Wochen ebenso oft wie unauffällig mit mir über die Furies unterhalten hat. Sie hat mir bei dieser Gelegenheit geschickt aus der Nase gezogen, was ich denn von denen am liebsten mochte – Natürlich “Won’t forget These Days“ und ihre Coverversion von “All the Young Dudes“. Das spielen sie dann auch für mich und ich bin fast zu Tränen gerührt. Ganze Filme laufen vor meinem geistigen Auge ab und wer mein Buch schon gelesen hat, kann sich denken, dass da auch Herman the German und Michael Buthe drin mitspielten. Aber damit noch nicht genug, denn hinter der Bühne finden sich drei Herren ein, die seit Anfang der 90er Jahre, seit dem Bläck Fööss-Split nicht mehr zusammen auf der Bühne gestanden haben: Erry Stocklosa, Bömmel Lückerrath und Tommy Engel. Die beiden letzteren sollen seitdem nicht einmal mehr miteinander gesprochen haben. Um es kurz zu machen: sie spielen mit uns zusammen “Für ’ne Moment“ und danach, obwohl wir eigentlich abgesprochen hatten, uns an eine ungeprobte Version von “Pänz“ zu wagen, fängt Bömmel leise an, dass Intro von “In unsrem Veedl“ zu spielen. Kurze Verwirrung allerseits, bis Tommy das Kommando gibt, “Jenau, Bömmel,… spill wigger!“. Keine Ahnung, wie ich tränenfrei durch diese kölsche Nationalhymne gekommen bin, vermutlich, weil ich die ganze Zeit zwischen den Mikrofonen der drei Ur-Fööss hin und her gependelt bin, wohl wissend, was da gerade für ein Statement abgegeben wurde. Eine größere Ehrung kann einem als Kölner definitiv nicht zuteil werden. Wow!! Danach kann nichts mehr kommen. Wir beenden den musikalischen Teil des Abends (ach ja, fast vergessen: Kollege Gentleman war ebenfalls mitten in unserem Set aufgetaucht, um “Redemption Song„mit uns zu singen. Ebenfalls eine Art Indianergeschenk!) und ich begebe mich unters Volk. Hätte ich doch nur ein plausibles Rezept gegen diese verfluchte Handyfotografiererei, denn anstatt mich mit allen Freunden, beispielsweise dem Kollegen Stoppok zu unterhalten und weiterer Weggefährten wie Christian und Bärbel Maiwurm, die ich ewig nicht mehr gesehen hatte, stehe ich – keinen Meter weiterkommend – eine gefühlte Ewigkeit mit irgendwelchem aufgeregten Menschen im Arm herum und grinse hilflos in Billigkameras, deren Funktion den Fotografierenden überfordert. Es ist ein Elend, meine Gutmütigkeit wird auf härteste Probe gestellt. Muss diesbezüglich dringend eine Lösung finden, zumal man ja mit diesen überforderten Leuten gar nicht mehr reden kann und sich während eines solchen Vorgangs in der Regel drei bis vier weitere Handyfotografen mit demselben Anliegen in die Wartereihe stellen. Communication Breakdown. Unmengen von Geschenken sammeln sich an, keine Chance sie alle vor Ort auszupacken, lediglich für Sebastian Krügers unfassbares W.N.-Portrait, das er eigenst für mich gemalt hat und der erste Prototyp der Düsenberg Bob-Dylan-Signature kann ich mich noch auf dem Schiff persönlich bedanken, alles andere fahren Holger und Volker Rohde noch zu später Stunde zwei Kilometer stromaufwärts zu mir nach Hause. Wird wohl noch etwas dauern, bis ich zum Auspacken und Bedanken kommen, denn ab morgen werde ich wieder in trauter Zweisamkeit mit Didi on the Road sein. Kurz vor 3:00 beschließt Tina, ich sei jetzt müde genug und gehöre ins Bett, ab geht’s ins gegenüberliegende Maritim-Hotel, denn unser Haus ist in dieser Nacht fest in bayrischer Hand. Die letzte Zahl die ich auf der Digitalanzeige des Hotelfernsehgeräts sehe, ist 5:30. Zuviel Adrenalin in der Umlaufbahn und der Ohrwurm des Abends nämlich “Birthday“ das Beatles-Ständchen, obwohl zwischendurch noch so viele andere Songs die Gelegenheit hatten, sich dazwischen zu pfuschen.