Pfingstmontag, 09.Juni 2014 – Köln / Keupstraße (Birlikte)
Um 10:00 Uhr erreichen wir das riesige Brachgelände an der Schanzenstraße, dass unmittelbar an die Keupstraße angrenzt. Bis vor ungefähr 20 Jahren war das mal ein Güterbahnhof. In den letzten Jahren wurde das Gelände nur ab und zu mal für die Aussenwetten von „Schlag den Raab“ benutzt. Für die heutige Kundgebung haben die Planierraupen ordentlich zugeschlagen und beim Anblick der Doppelbühne wird man regelrecht demütig. „The Eagle has landed“- Unsere Crew ist mit dem Aufbau der Backline für den Soundcheck nahezu fertig, sodass wir schon vor 11:00 anfangen können. Gute Idee, unser eigenes Monitorsystem mitzubringen, denn da sind wir drauf eingespielt und alles hört sich so an wie gestern in Bensheim. Nach uns macht die zusammengewürfelte Lindenberg-Maffay-Band auf der anderen Bühne ihre Tonprobe. Unfassbarer Massenauftrieb an Musikanten, verliere leicht den Überblick, wer denn nun jetzt wohin gehört. Freue mich natürlich Bertram Engel, Ken Taylor und Carl Carlton zu treffen und wäre der Effendi vor Ort, hätten wir ein Leopardefell-Bandfoto -neunzehn Jahre danach- machen können, denn natürlich läuft mir auch Jens Streifling über den Weg. Schön, auch mal Nippy Noya kennenzulernen, den legendären indonesischen Percussionisten, den Udo kurzfristig noch mal reaktiviert hat. Erst vor kurzem hatten wir über ihn gesprochen und uns gefragt, wo der wohl abgeblieben sei. Ein wenig Hektik kommt noch auf, weil das Panik-Orchester sich dann doch nicht „Arsch Huh“ drauf geschafft hat, aber erfreulicherweise hat Arno Steffen für diesen Fall eine B-Lösung parat. Logischerweise Musiker aus den ursprünglichen Arsch-huh-Bands, die den Song schon öfter mal gespielt haben. Nach und nach trudeln dann auch sämtliche Akteure ein und man fängt an, sich zu fragen, wo man sich in diesem Backstage-Bereich eigentlich lassen soll. Das riesige Bierzelt kommt jedenfalls nicht in Frage, denn da drin herrschen Temperaturen wie in der Sauna und ansonsten steht man überall in der prallen Sonne. Bleibt also nur die Bühne selbst, die auch den Vorteil bietet, dass da nicht jeder drauf darf und dementsprechend weniger Selfie-Anfragen kommen. Da weht wenigstes ein Lüftchen und wenn man es geschickt anstellt, kriegt man das komplette Programm von den Seiten aus mit. Der Nachteil ist der, dass man von den Bands, die In-Ear-Monitore benutzen, nur das Schlagzeug und den Bass zu hören bekommt, und dass alles, was auf den Video-Screens stattfindet ungesehen bleibt. Für uns fängt das Programm mit der Rede des Bundespräsidenten Gauck und der Schweigeminute an. Unmittelbar danach singen wir mit den Bläck Fööss zusammen die Hymne des letzten Arsch-huh-Konzerts „Unsere Stammbaum“. Es folgen abwechselnd auf beiden Bühnen die Beiträge verschiedenster Künstler, von den Fantastischen Vier bis zu „meinem kleinen Bruder“ Clueso. Natürlich sind auch von Brings bis LSE sämtliche Arsch-huh-Bands am Start. Redebeiträge moderiert von Sanda Maischberger, ein Grußwort von Lukas Podolski, türkische Künstler und Popstars bis uns dann endlich Tom Buhrow ankündigt. Ein ganz leichtes mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, als ich nur –schon auf der Bühne sitzend- den Himmel anschaue. Zwar keine Gewitterwolken, aber er ist deutlich dunkler als sonst um diese Zeit. Wenn das mal gutgeht!? Dennoch bin ich überrascht, als nachdem wir unser zweites Lied, nämlich „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ gespielt haben, Sandra Maischberger auf die Bühne kommt und das Konzert abbricht. Es käme eine Sturmfront auf uns zu, die Leute sollten bitte zügig das Gelände verlassen und sich in Sicherheit bringen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als unsere Gitarren einzupacken und unserer Crew aus den Füßen zu gehen, denn Utz übernimmt jetzt das Kommando, um unserer Backline und die schweren Instrumente sicher in den Truck zu verfrachten. Erfreulicherweise hat Judith, unsere Truckerin, den gelben Tieflader bereits hinter der Bühne geparkt, sodass alles in Rekordgeschwindigkeit geregelt werden kann. Und dann folgt Armageddon. Wenn es den kleinen Film, den Carsten gedreht hat, nicht gäbe, könnte man verdächtigt werden, zu übertreiben. Aber so kann es jeder im Internet sehen, dass der Abbruch der Veranstaltung absolut gerechtfertigt war. Weniger gut hat die Lindenberg/Maffay-Crew reagiert. Die haben die Sturmwarnung nicht ernst genommen und gar nicht erst mit dem Rückbau angefangen. Dementsprechend ging da dann wohl auch einiges zu Bruch. Es ist natürlich jammerschade, dass die Veranstaltung nicht programmgemäß zu Ende gebracht werden konnte und das die beiden letzten Acts völlig umsonst angereist sind. Auch wir hätten gerne die 25 Minuten, die uns zur Verfügung standen, ausgefüllt. Vor allem hatten wir uns extrem auf die Saz-Version von „Kristallnaach“ gefreut, aber alle müssen einsehen, dass Balou’s Entscheidung Menschenleben gerettet hat. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn eine Masse von 70.000 Menschen in Panik geraten wäre. Da wäre die Duisburger Love-Parade ein lauer Furz gegen gewesen. Das Wichtigste ist sowieso, dass dieses Pfingstwochenende in und an der Keupstraße auf dermaßen viel Interesse gestoßen ist. Könnte mir vorstellen, dass da einiges zusammengewachsen ist, was längst schon zusammengehört. Trotzdem darf man nicht nachlassen bzw. unachtsam werden. Das Thema „Fremdenfeindlichkeit“ wird uns noch viel zu lange erhalten bleiben.