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Kigali – Berlin

Flug GAF875, Kigali-Berlin

Programmverlauf ähnlich wie nach unserer Ankunft in Entebbe. Ehrenformation, Nationalhymnen, viele Hände werden geschüttelt etc. Das obligatorische Gespräch mit den Vertretern deutscher EZ-Organisationen kann ich in Puncto Klartext forcieren, da ich die meisten Vortragenden persönlich kenne und das meiste meines Wissens über Ruanda genau genommen ihnen verdanke.
„Keinerlei Scheu“ sage ich ihnen „der will’s wissen!“ Und so erfahren wir dann unter anderem von der sogenannten „3-Kinder-Politik“ der Regierung Kagame, mit der man versuchen will, die Bevölkerungsexplosion seit dem Genozid von 1994 in den Griff zu bekommen. Kein Gesetz, sondern eher eine Empfehlung, die allerdings mit Konsequenzen für die dann überdurchschnittlich kinderreichen Familien verbunden ist. Problematisch natürlich insofern, als dass Kinderreichtum an sich das traditionelle Altersversicherungssystem darstellt. Der Übergang wird nicht unbedingt leicht werden. Erfreulich allerdings, dass man sich an dieses Tabuthema rangewagt hat.

Die Opposition wird in Ruanda ziemlich rigoros ausgegrenzt, die Pressefreiheit ist eingeschränkt und es besteht die Gefahr, dass eine eventuelle Nachfolge Kagames zu spät oder gar nicht aufgebaut wird. Auf der anderen Seite wird mir, nicht zuletzt durch die Lektüre von Romeo Dallaires Buch „Handschlag mit dem Teufel“ und den Ausführungen der Fachleute immer klarer, dass wir mit unseren Vorstellungen von einer Demokratie mit Mehrparteiensystem und hundertprozentiger „Good Governance“ wohl noch etwas Geduld haben müssen. Zwischen achthunderttausend und einer Million Genozid-Opfer sind in einem afrikanischen Land dieser Entwicklungsstufe auch nach 14 Jahren noch nicht per Ordre du Mufti abhakbar.
Die Erfahrungen mit dem Mehrparteiensystem VOR dem Völkermord rechtfertigen zunächst wohl tatsächlich noch Kagames autoritären Regierungsstil, vor allem wenn man eine kenianische Entwicklung verhindern will. Ein großes Problem stellt die Energieversorgung Ruandas dar, denn hier ist man noch mehr als in Uganda, nämlich fast vollständig, vom Ölimport per LKW aus Kenia abhängig. Auf Dauer ein unhaltbarer Zustand. Hier ist unter anderem die Entwicklungshilfe gefordert, den Zugriff auf erneuerbare Energien zu ermöglichen. Meine geplante Frage nach dem momentanen Stand der ruandischen Verwicklungen in die gewalttätigen Auseinandersetzungen und Massenvergewaltigungen im Ostkongo bleibt aus Zeitgründen ungestellt. Vermutlich auch besser so, denn gerade der Themenkomplex, Milizen, Rohstoffe, insbesondere Koltanabbau und –vermarktung ist in der Tat ein viel zu heißes Eisen, als das man es vor allzu vielen unbekannten Ohren anfassen sollte. Leider erfahre ich allerdings auch im weiteren Verlauf der Reise nicht furchtbar viel Neues darüber. Das werde ich wohl einmal gesondert angehen müssen, wenn ich wirklich dahinter kommen will.

Der erste offizielle Programmpunkt ist dann der Besuch der Gedenkstätte Gisozi mit Kranzniederlegung und anschließendem Rundgang durch das benachbarte Genozid-Museum, wozu ich jetzt einmal nichts schreiben will. Es gilt nach wie vor, was ich im vergangenen Mai dazu gesagt habe. Das mir ebenfalls bekannte Jugendzentrum Kimisagara ist die nächste Station. Groß die Wiedersehensfreude, leider treffe ich die Jungs von der Reggae-Band nicht, die mir allerdings beste Grüße ausrichten lassen. Eine großartige Einrichtung, mit viel Liebe betrieben, ungeheuer wichtig, vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten Völkermörder damals aufgehetzte, arbeitslose Jugendliche waren. Das Treffen mit Regierungsmitgliedern zum Gespräch in Kagames Regierungsdorf Urugwiro verläuft ähnlich uninspiriert wie das letztens in Uganda, wenn nicht noch verklemmter. Auch hier wagt keiner etwas über Floskeln und Altbekanntes hinausgehendes, bis der Chef selbst hinzukommt und ein paar Fragen beantwortet, was aber auch nicht unbedingt Erleuchtung verschafft. Aber immerhin macht Kagame den Eindruck, als könne man mit ihm unter vier Augen Klartext reden, was mir der Bundespräsident später bestätigt. Der Tag geht mit einem Staatsbankett zu Ende, Schlips und schwarzer Anzug können danach bis auf weiteres erst mal zurück in den Kleidersack.

Der Dienstag beginnt mit einer ca. einstündigen Fahrt nach Muhanga in der Südprovinz Gitarama, wo wir mit lokalen Gacaca-Akteuren reden sollten. Über die traditionellen lokalen Wiesengerichte habe ich ebenfalls im Mai bereits geschrieben, allein die Erkenntnis, dass die Ruander offensichtlich bei all den noch anstehenden Verfahren schon alleine aus zeitlichen Gründen gar keine andere Möglichkeit haben, als sich mit dieser Notlösung zufrieden zu geben, ist hinzugekommen. Aber es nervt halt nach wie vor, wenn man bemerkt mit welcher Penetranz man eine solche Notlösung auch noch wortreich und tearjerking schönzureden versucht. Klartext würde (im kleinen Kreis, ohne das heute stattfindende Brimborium) weitaus mehr bewirken, denn man könnte sich da ja beispielsweise auch einmal über den katastrophalen Zustand der hiesigen Gefängnisse unterhalten und nach Lösungen suchen. Irgendwie muss man das denen mal stecken.
Vom Giatrama-Fußballstadion geht es dann mit drei Militärhelikoptern weiter nach Muyunzwe, wo ein von der deutschen Welthungerhilfe und der Partnerschaft Ruanda – Rheinland-Pfalz gebaute Schule eingeweiht wird und weiter ebenfalls per Hubschrauberkonvoi in die alte Universitätsstadt Butare. Eine Flugstrecke, die sehr informativ ist, denn wir fliegen so niedrig wie möglich und können so mit eigenen Augen sehen, was die Welthungerhilfe unter „Nutzbarmachung und Terrassierung von Feuchtgebieten“ versteht. Ein großartiges landwirtschaftliches Projekt, mit dem man der fortschreitendenden Erosion entgegenzuwirken versucht.
Mittagessen der Delegation incl. Herr und Frau Köhler zum Thema „Rolle der Zivilgesellschaft und Rolle der Frau in der Entwicklung Ruandas“ und danach ein Besuch der Nationaluniversität von Huye, anlässlich einer Diskussion mit Studenten zum Thema „Rolle der Jugend bei der Entwicklung Ruandas“. Beide Veranstaltungen geraten lebhafter als befürchtet, heiße Eisen werden allerdings auch hier nicht unbedingt angefasst. Unfreiwillige Komik versprühte zuguterletzt die Verabschiedung des offensichtlich Radio- und TV-erfahrenen Moderators: „Thank you for being here on the show tonight!“. Ein Versprecher, der mehr als manches zuvor Gesagte zum Ausdruck brachte.

Tja, und das war es auch schon fast. Rückflug nach Kigali, duschen, umziehen und zum Empfang des deutschen Botschafters auf das Gelände der Relais-Station der deutschen Welle. Leider ging dieser Abschluss-Veranstaltung ein enormer Wolkenbruch voraus, so dass die Angelegenheit doch arg in Mitleidenschaft gezogen wird. Hätte ein wunderschöner Abend werden können, aber wenigstens hat man in dem eigens dafür aufgestellten Großzelt mal etwas mehr Zeit, sich mit ein paar alten Bekannten zu unterhalten. So treffe ich beispielsweise den pensionierten Landshuter Kinderchirurgen Dr. Alfred Jahn wieder, der seit dem vergangenen Mai zu meinen ganz großen Helden zählt. Die Frau des deutschen Botschafters hat einem neuen Film über seine Waisenhäuser und sein Arbeit als Chirurg gedreht, den er mir mitgibt, damit ich ihn in Deutschland unter die Leute bringe.
Heute morgen dann Gepäckabgabe von 7:00 bis 7:30 Uhr und pünktlicher Abflug nach Berlin um 10:10 Uhr. Unterwegs das abschließende Resumee-Gespräch der Delegationsmitglieder mit dem Bundespräsidenten und seinen engsten Mitarbeitern, erfreulich offen und herzlich. Parteigrenzen zwischen den Beteiligten Berufspolitikern sind unwichtig, die Leidenschaft für Afrika ist allen Beteiligten deutlich anzumerken. Ganz nebenbei: Riesen Respekt vor dem über 80-jährigen, ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Thüringen, Prof. Dr. Bernhard Vogel, der diesen Parforceritt ohne irgendwelche Extrawürste bzw. Ermüdungserscheinungen durchgestanden hat. Chapeau!
Landung in Berlin voraussichtlich um 17:40 Uhr und kurz nach 19:00 Uhr steht dann Papa ante Portas.

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