Freitag, 09.November 2012 – Köln, Deutzer Werft / Arsch huh
Heute also der große Tag, auf den ich spätestens seit der Loreley hingelebt habe. Schade, dass es sich einige frustrierte Mitstreiter nicht nehmen ließen, auf den letzten Metern dann doch noch Gegenwind zu erzeugen. Beispielsweise der Kabarettist Jürgen Becker, den ich eigentlich immer „für ’ne Joode“ gehalten habe. Er wirft im Rundumschlag sämtlichen Beteiligten „Kölnbesoffenheit“ vor, weil er zu feige ist, sich mit dem Boulevard anzulegen, für den er ja Kolumnen schreibt. In Wirklichkeit meint er mit seinem Vorwurf auch nur die „Höhner“, mit denen er nicht gemeinsam auf einer Veranstaltung auftreten will, aber über die hält der volkstümelnde Boulevard ja seine schützende Hand. Ich jedenfalls fühle mich nicht angesprochen, unsere Songs sind alles andere als „kölnbesoffen“ und richte mich ansonsten nach den vor 20 Jahren festgelegten Spielregeln. Die besagen, dass die Höhner Gründungsmitglieder von der AG Arsch huh sind. Damit ist der Fall für mich erledigt und selbstverständlich arbeite ich in diesem Fall mit ihnen zusammen. Mal ganz abgesehen davon, dass sie einen wirklich anerkennenswerten Beitrag zum Album beigesteuert haben. Man kann das auch wie Gerd Köster handhaben und einfach nur bei den beiden Gemeinschafts-Songs „Arsch huh“ und „Unsere Stammbaum“, bei denen die Höhner selbstverständlich vertreten sind, vornehm der Bühne fernbleiben. So what?
Um 14.30 Uhr holt mich Utz ab und wir fahren zur Deutzer Werft, um den BAP-Soundcheck mit Arno und Heiner zu absolvieren. Danach lohnt es sich nicht mehr nach Hause zu fahren, denn keiner weiß, wie der Verkehr vor Veranstaltungsbeginn sein wird. Kein Problem, denn viele von den heute beteiligten Musikern habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und freue mich, mit dem einen oder anderen mal wieder ein Schwätzchen halten zu können. Allerdings wird diese Freude leicht dadurch getrübt, dass all die Blaskapellen-Musiker ebenfalls Backstage sind und ich mal wieder zum Handyfotomodell werde – es ist das Grauen. Ab Veranstaltungsbeginn bin ich deshalb auch nur noch hinter dem Monitormischpult anzutreffen, von wo aus ich alles, was auf der Bühne passiert aufmerksam verfolge. Von dort bewege ich mich nur weg, wenn ich von Didi zu einem Interview gerufen werde. Natürlich immer dieselben Fragen und ich ertappe mich dabei, dass ich wenigstens mal mit den Antworten variieren will, womit ich mir natürlich keinen Gefallen tue. Auch suboptimal gerät das, was ich zustande bringe nachdem ich den jeweiligen Sachverhalt „noch einmal, aber kürzer“ formuliere.
Gerade die politischen Aussagen sind nun mal komplizierter als man es in der jeweiligen Sendezeit unterzubringen vermag. Aber alles nicht so schlimm, ich bin einfach zu begeistert von dem, was vor allem Walter und Karl Heinz Pütz hier an Programm auf die Beine gestellt haben. Da kann auch keiner mehr kommen und behaupten, wir hätten uns, in die Jahre gekommen, selbst beweihräuchert. Das war multikulturell im besten Sinne und, dass die meisten Acts kölsch gesungen haben, liegt nun mal daran, dass die AG Arsch huh von kölsch-singenden Kapellen gegründet wurde. Ob das bis in alle Ewigkeit so bleibt, darf bezweifelt werden, denn unsere Sprache stirbt (wie sämtliche Dialekte) nun mal aus. Bin ohnehin dafür, dass der Staffelstab mal in Bälde an die nächste Generation übergeben werden sollte.
Bevor wir mit BAP dran sind, habe ich bereits mit Brings und den Bläck Fööss gemeinsame Sache gemacht. Wir spielen „Kristallnaach“ und „Amerika“ bevor dann alle (bis auf Gerd Köster) zu den beiden Hymnen wieder auf der Bühne erscheinen. Niki (der übrigens seinen Song, das Ur-Demo von „Naachtijall“, bravourös mutterseelenallein vor 80.000 Zuschauern dargeboten hat) spielt das bluesig-griechische Intro und ab geht’s. Mir kommt es vor, als hätten wir erst im vergangenen Jahr auf dem Chlodwigplatz gespielt und erfreulicherweise meldet sich dann doch kein Kloß in meinem Hals, während wir den Stammbaum singen, was auch daran liegt, dass der Zeltinger nicht, wie seinerzeit seine Zeilen durch „Hannana….“ ersetzt hat, sondern meine Lieblingszeile „…mir all, mir sinn nur Minsche, vüür’m Herrjott simmer jlich“ grandios intoniert hat (ebenso wie seine Zeilen in „Arsch huh“ übrigens). Dementsprechend groß fällt das „Hallo!“ auf der Bühne aus. Wir sind stolz auf dich, Onkel Jürgen!
Nach dem Konzert mache ich mich so schnell wie möglich vom Acker, denn in dem völlig verrauchten Aftershow-Zelt, wo ich unmittelbar wieder zum Handyfotomodell werde, hält mich unter diesen Voraussetzungen nichts mehr. Es ist – wie bereits eingangs erwähnt – das Grauen.