Freitag, 15. April 2011 – Pohlheim-Garbenteich (Gießen)
Erlauben uns, einen kleinen Umweg zu fahren, von Heinsberg erst mal nach Aachen, um uns die Ausstellung „Hyper Real“ im Ludwig Forum anzusehen. Es ist unglaublich. Die Zusammenstellung von amerikanischer Kunst um 1970 kommt einem so vor, als sei sie speziell aus Dokumentationsgründen des ersten „Für ‘ne Moment“-Kapitels „What’s wrong with staples?“ auf die Beine gestellt worden. Lediglich Larry Rivers ist – wie gewohnt – mal wieder nicht vertreten. Stattdessen aber ausführlich der großartige Malcolm Morley, Duane Hansons „Bowery Bums“ und vor allem Howard Kanovitz‘ verblüffende Arbeit „The Painting Wall, the Water Bucket Stool“ von 1968, eine Wand aus seinem Atelier gegenüber vom Fillmore East, Ecke Second Avenue und St. Marks, dem Raum, in dem legendäre Sätze fielen wie „Loss dä (Kühlschrank) zo, do wähß Zeuch drinn!“ Kann ich wirklich nur wärmstens empfehlen, eine Ausstellung, die sich ganz zweifellos jedem erschließen wird, egal ob er in Sachen Kunst Ahnung hat oder nicht. Abgesehen von vielen Meisterwerken sieht man hier nämlich auch eine Art Bestandsaufnahme von dem Amerika, das ich als 23jähriger Jungspund vorfand. Also: Nicht lange überlegen, sondern bei nächster Gelegenheit (bis einschließlich 19. Juni) nach Aachen fahren oder zumindest den herrlich großformatigen Ausstellungskatalog (Verlag der Buchhandlung König, Köln) besorgen. Übrigens: Wen es interessiert, wie die Collagen aussahen, die Larry aus der Hüfte vor irgendwelchen Arztbesuchen, „something“ murmelnd oder „… LLLEAN on“ singend, anfertigte, der sehe sich Andy Warhols Mick-Jagger-Porträts an. Eins zu eins vom guten Larry abgekupfert.
Danach auf die Autobahn nach Gießen, wo uns unser Komplize Norbert Schmidt an eine Initiative „Kultur in Mittelhessen“ vermittelt hat, die in einem Vorort namens Pohlheim-Garbenteich regelmäßig in einer Stadthalle ambitionierte Kulturevents veranstaltet. Nette Leute, Überzeugungstäter, alles perfekt organisiert, und die Bude ist erneut rappelvoll. Aufmerksames Publikum, die Ideallinie bewährt sich, und da ich heute eine neue G-Harp zur Verfügung habe, funktioniert auch endlich mal die Version von „Noh all dänne Johre“, die ich mir ausgedacht hätte. Wäre das ein Band-Gig gewesen, so befände sich der „Heinz“ b.a.W. in meinem Besitz. Ausgezeichnet worden wäre ich nämlich mit Sicherheit für die Zeile „… brungjebrannt enn ihrem eezte Kühlschrank“ während „Chippendale Desch“. Anscheinend nicht allzu viele Native Speaker anwesend, hätte ansonsten wohl vor Lachanfällen kaum dermaßen cool weiterspielen können. Ein Highlight der ganz besonderen Art dann noch ganz am Schluss des offiziellen Teils der Veranstaltung, nach „Hundertmohl“. Man hatte mir nachmittags nach unserer Ankunft einen Zeitungsausschnitt vom 28. Januar 1970 gezeigt, der von einer „Beat Battle“ in Euskirchen-Kuchenheim berichtete. Diesen Wettbewerb gewann eine Band namens „The Troop“ knapp mit nur 34 Publikumsstimmen Vorsprung vor der Euskirchener Formation „The Foghorns“. Auf meine Frage, wo denn der Artikel jetzt herkomme, erfahre ich, dass Reinhard »Paegi« Paegelow, der damalige Gitarrist der Foghorns heute im selben Gebäude eine Etage tiefer seinen 60. Geburtstag feiere. Nach dem Soundcheck treffe ich ihn dann und frage ihn, ob er nicht Lust habe, nach all den Jahren heute Abend einen Song mit mir zu spielen. Wir entscheiden uns für „Dedicated Follower of Fashion“ von den Kinks, den ersten Song, den ich mit den drei Akkorden meines Bruders auf der Gitarre beherrschte. Somit wäre eine sage und schreibe 41jährige Geschichte doch noch zu einem wunderbaren Ende gekommen. Damals hatte es nämlich, wie es sich in der Eifel gehört, beinahe eine Schlägerei gegeben, weil die Lokalmatadoren nicht den ersten Platz belegt hatten. Unglaublich: Da hatte es doch tatsächlich ein cleverer Veranstalter geschafft, endlos viele Amateurbands mitsamt ihrer Anhängerschaft in ein Bierzelt nach Euskirchen-Kuchenheim zu locken, für die ersten fünf Plätze Preise von 500 DM abwärts zu bezahlen und sowohl Eintritt als auch Getränkeumsatz auf das eigene Konto fließen zu lassen. Kunst habe nichts mit Stabhochsprung zu tun, werde ich angesichts verlogener Casting-Shows nicht müde zu behaupten. Damals sind auch wir auf derartigen Scheiß reingefallen. Auch was diese kleine Geschichte betrifft, gibt es einen Bezug zur Autobiographie, nämlich die vier Einzelfotos der Troop-Musiker auf S. 147. Sie wurden damals exakt bei dieser Veranstaltung aufgenommen. (Die Angabe der Jahreszahl in unserem Buch stimmt also nicht!)
Muss mir dringend etwas einfallen lassen, wie ich die Signiererei etwas kürzer gestalten kann, denn nach einem mehr als dreistündigen Auftritt sind die immer länger werden Signierstunden auf Dauer nicht machbar. Irgendwann muss ich auch mal schlafen. Vielleicht fangen wir mal mit einem Fotografierverbot und dem Nicht-Signieren von umfangreichen Foto- und Plattensammlungen an. Maybe that helps.