Freitag, 21. März 2014 – Halle / Saale
Am frühen Donnerstag-Nachmittag sammeln Fisch und Rhani mich zuhause ein und wir machen uns auf den Weg nach Halle. Dort angekommen stellen wir fest, dass sich der direkt gegenüber vom Hotel (in der man mir die „Hanns Dietrich Genscher-Suite“ zuweist, in der man sich mit einem gelben Pullover in einer Plexiglas-Box konfrontiert sieht) ein Multiplex-Kino befindet. Wir wittern die Chance, endlich „Grand Budapest Hotel“ sehen zu können, aber leider läuft der hier nicht. Da wir uns aber bereits im Kino-Modus befinden, beschließen wir einfach, uns „Monuments Men“ anzusehen. Wie befürchtet fällt der dann zwar auch in die Rubrik „Krieg ist lustig“, aber dennoch muss man ihm attestieren, dass hier großartige Schauspieler agieren. Am großartigsten die Szene, in der George Clooney diesen SS-Schergen verhört und ihn dabei in coolster Weise wissen lässt, was er von ihm hält. Allein für diesen Monolog lohnt es sich, den Film anzusehen. Für uns hält er aber auch noch eine ganz andere Information bereit, nämlich die, dass im „Erlebnisbergwerk Merkers“ viele der von den Nazis geraubten Kunstwerke eingelagert waren. Schon irre, dass ich bislang den Städtenamen „Merkers“ nur vom Tourplan kenne und zwei Tage bevor wir da, in eben diesem Bergwerk unter Tage auftreten erfahre, was sich dort vor siebzig Jahren zugetragen hat. Am Konzerttag selbst nutze ich die Chance mir nochmal, nach 14 Jahren endlich mal wieder Halles Altstadt anzusehen. Die Male, wo ich zwischendurch hier war, hatte ich dafür leider nie Zeit. Damals war ich mit Sheryl zum Stadtbummel aufgebrochen und wie es der Zufall wollte, standen wir plötzlich an der einzigen Fußgängerampel, die die Hauptgeschäftsstraße durchschneidet, einer Horde johlender Skinheads mit Springerstiefeln und Bomberjacken gegenüber. Gut, dass diese Begegnung am hellichten Tag stattfand, mitten in der Nacht wären wir da nicht so glimpflich davongekommen. So blieb es ausschließlich bei verbalen Entgleisungen, die mich allerdings immer noch verfolgen. Dementsprechend begleitet mich unsere, vor ungefähr zehn Jahren verstorbene „karibische Perle“ auch heute imaginär bei meinem kleinen Stadtbummel. Es hat sich seitdem einiges in der Innenstadt getan, auch wenn geschmackloseste Plattenbauten immer noch wie faule Zähne das Stadtbild beeinträchtigen. Aber was soll man da schon machen? Der Realsozialismus ging da rein pragmatisch vor: Die Leute brauchten halt Wohnraum, ästhetische Gesichtspunkte blieben zweitrangig. Neu bauen war billiger als renovieren, also wurde fleißig abgerissen und DDR-Lego gespielt. So, und jetzt die Frage nach Authentizität: Reisst man die Bausünden ab oder nicht? Ich maße mir jedenfalls nicht an, diese Frage zu beantworten, zumal natürlich keiner weiß, wer das dann überhaupt bezahlen sollte. Mein Rundgang endet in der Moritzburg, dem baulich sehr interessanten Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt. Carsten (mein „Arschretter“) hatte mir beim Frühstück die Ausstellung „Unmittelbar und unverfälscht“ über die Brücke-Maler empfohlen. Kräftige Farben, expressive Linienführung, alles damals äusserst mutige Kompositionen, die dann natürlich auch ausgiebig angeeckt sind. Mein Lieblingsbild an diesem Vormittag hängt aber nicht in der Brücke-Ausstellung selbst, sondern einige Stellwände weiter: „Der tote Spatz“ von Franz Marc, ein nur postkartengroßes Bildchen, das der arme Kerl 1905 gemalt hat, elf Jahre bevor er 1916 in Verdun als 36-jähriger gefallen ist. Lange kein Bild mehr gesehen, das mich dermaßen berührt hat. Abends, beim Konzert muss ich natürlich bei der entsprechenden Lisa-Textzeile an diesen auf dem Rücken liegenden Vogel denken. Und immer wieder fällt mir ein, dass wir um ein Haar Wim´s Film hier im Steintor-Varieté gedreht hätten. Erst nachdem er mich an einem Sonntag-Nachmittag angerufen hatte, ich solle mir doch mal die Lichtburg ansehen und wir dann beide befanden, dass sich ein altes Kino dann doch besser für diesen Zweck eignen würde, haben wir die ursprüngliche Idee fallen gelassen. Habe den Entschluss zwar nie bereut, aber dennoch habe ich das Gefühl, hier mal was Bleibendes einfangen zu müssen. Die Leute sind erneut offen für das, was wir uns für diese Tour ausgedacht haben, wir versuchen es heute mal mit „Do jeht ming Frau“ an der Position von „Paar Daach“, was auch gut funktioniert. Was soll ich groß sagen? Diese Tour entwickelt sich tatsächlich schon auf den ersten Metern zum Homerun.