Gulu – Uganda
Hotel Jojo’s Palace
Einziger Tagesordnungspunkt ist der Besuch des Lagers Atiak, sechzehn Kilometer von der sudanesischen Grenze, was sich zunächst Mal als nur schwer zu bewältigendes logistisches Problem erweist. Die eigentliche Straße, die den direkten Weg über Pabo nach Juba im Sudan führt, ist nämlich ob der momentanen Regenzeitbedingungen an mindestens einer Stelle dermaßen aufgeweicht, dass ein im Matsch steckengebliebener Trailer jetzt die Strecke in beiden Richtungen blockiert.
Es müssen sich inzwischen Unmengen LKW und Busse dort angesammelt haben, allesamt nicht in der Lage, auf der schmalen Lehmpiste zu wenden. Also besteht für uns nur die Möglichkeit, eine noch schlechter ausgebaute Umwegspiste zu nehmen, wenn wir nach Atiak wollen. Nachdem wir zwei Drittel dieser 90km langen Strecke geschafft haben, kommt uns eine Militärpatrouille entgegen, die uns rät, umzukehren. Drei Kilometer weiter blockiert ein vor zwei Tagen gestrandeter Überlandbus, der „Nile Coach“ die Piste in die eine und ein LKW in die andere Richtung. Wir beschließen, die Situation vor Ort abzuchecken und tatsächlich sieht es nicht so aus, als ginge heute noch was.
Umso überraschter sind wir, dass es ein Trupp Soldaten mit Hilfe aller Beteiligter dann doch noch schafft, eine Schneise in den Busch neben der Straße zu schlagen, durch die unser kleiner Konvoi weiter fahren kann. Diese Gegend hier war noch, bevor sich die Rebellen vor knapp einem Jahr wegen der Friedensverhandlungen in den Ostkongo zurückgezogen haben, eine ihrer Hochburgen. Diesen Umstand merkt man dann auch dem Lager Atiak an, welches in all den Bürgerkriegsjahren eins der unbeschütztesten war. Eine grausame Berühmtheit erhielt es, als es 1996 einmal mehr von der LRA überfallen wurde und diese 250 ausgewählte Männer im wehrhaften Alter massakriert hat, um den Beweis dafür abzuliefern, dass ihre Gewehre noch funktionieren.
Wir bekommen die Gelegenheit, uns in Ruhe mit den zwei überlebenden Augenzeugen dieses Massakers zu unterhalten, wie auch mit vier ehemaligen, zwangsrekrutierten Kindersoldaten, von denen nur einer den Eindruck macht, wieder halbwegs mit sich selbst im Reinen zu sein. Besonders die beiden Mädchen wirken gebrochen. Natürlich habe ich keinen blassen Schimmer, wie man wieder halbwegs zurück in die Spur kommen soll, wenn man so was durchgemacht hat.
Nachdem dann kurz vor unserer Rückfahrt die obligatorische Child-Mother-Club Tanz-und Gesangsvorführung vorbei ist und ich mich mit „Noh Gulu“ bedanke, stelle ich mitten im Song fest, dass die Leute hier gar nicht wissen, was Nightcommuter (Nachtpendler) sind, denn dafür sind sie definitiv zu weit von Gulu entfernt. Die Möglichkeit, sich vor Einbruch der Dunkelheit in von Hilfsorganisationen aufgestellte und vom Militär bewachte Zelte in die Bezirkshauptstadt zurückzuziehen hatten die Atiak-Kinder nicht einmal. Nur unzureichend von einer Handvoll schlecht ausgerüsteter Soldaten „beschützt“, mussten die Menschen hier genaugenommen zwanzig Jahre lang sich selbst überlassen klar kommen.
Zurück in Gulu sorgt dann die Übertragung des Länderspiels England-Deutschland für die endgültig surreale Komponente dieses ereignisreichen Tages.