Kronenburg/Baden-Baden
25.- 29. Oktober
Mit dem Hochgefühl des gestrigen 4:2 Siegs im Pokalspiel gegen Schalke (endlich darf man nach all den Jahren mal wahrheitsgemäß die berüchtigte Zeile aus „Nix wie bessher“ singen) hänge ich mit dem Manfred zusammen meine am Freitag zu eröffnende Ausstellung in seinem Kronenburger Schauraum. Abends dann mit dem Zug nach Baden-Baden, wo mich Frank Laufenberg am Bahnhof abholt.
Abendessen bei einem leckeren Italiener und Nachtruhe auf der Bühler Höhe: Der Begriff „Nobelherberge“ muss neu definiert werden. Eingeladen bin ich vom hiesigen Rotary-Club, dessen Mitglieder im Baden-Badener Amtsgericht eine Ausstellung zum Thema „DDR-Justiz“ organisiert hat. Im Rahmen dieser Geschichte am Donnerstag Abend hier dann auch die Aufzeichnung eines Gesprächs (vor Publikum) zwischen Frank und mir über unsere geplatzte DDR-Tour (die am Freitag, dem 3. November ab 14:05 Uhr auf SWR2 in der Reihe „Dschungel“ ausgestrahlt wird). Natürlich, wie auch nicht anders erwartet, ein sehr kurzweiliges Unterfangen, ein Gespräch bei dem selbst die zahlreich erschienenen Die Hard- Baptisten noch Details erfuhren, von denen sie bisher noch nichts wussten.
Freitag Nachmittag holt mich dann der Didi ab und wir fahren gemeinsam zurück nach Kronenburg um hier abends meine Ausstellung „Bilder aus den Siebzigern“ zu eröffnen. Die Hütte ist heute noch voller als bei meiner ersten Ausstellung, die fünfzig ausgedruckten Exemplare von Olivers Text über die ausgestellten Arbeiten sind im Handumdrehen vergriffen.
Freue mich besonders über Sebastian Krügers Kommen, den ich zwar regelmäßig zu allen erdenklichen Geschichten einlade, aber nicht wirklich erwarte. Schön auch, dass der Effendi mal vorbeischaut, Hans Heres, Christian Springer, Eusebius Wirdeier, unser Pokalheld Stephan Wessels und überhaupt ganz viele alte Freunde und Bekannte. Habe den Eindruck, dass wir auch den Kronenburgern mit unserem Schauraum-Aktivitäten Freude bereiten. Samstag mal null Prozent offizielle Aktivitäten und Sonntags nach Köln-Bocklemünd, um im Rahmen der WDR-Sendung „ NRW packt an“ einen Song (Unger Krahnebäume) und einen Talk zum Thema „Gemeinsam für Afrika“ beizusteuern.
Hier Oliver Kobolds Text zur Ausstellung:
Wolfgang Niedecken – Bilder aus den Siebzigern
I been to Sugar Town
I shook the sugar down – Bob Dylan, 1997
Der „Schauraum“ präsentiert mit „Bilder aus den Siebzigern“ die zweite Ausstellung mit frühen, teilweise noch an der Kölner Kunsthochschule entstandenen Arbeiten Wolfgang Niedeckens. Diese Werkphase zeugt von Niedeckens intensiver, nicht zuletzt durch den persönlichen Kontakt zu Malern wie Howard Kanovitz und Malcolm Morley angestoßener Beschäftigung mit dem amerikanischen Photorealismus. Ausgehend von Bildträgern wie Postkarten, Zeitschriftenseiten, Kalenderblättern, Annoncen etc., untersucht die photorealistische Malerei, wie technische Bildmedien Realität vermitteln und Wahrnehmungen steuern. Das für photorealistische Bilder typische Spiel mit den Realitätsebenen sowie ein oft ironischer Umgang mit Bezugsgrößen aus der Kunstgeschichte prägen auch die von Niedecken freier gestalteten sogenannten „Zuckerguss-Bilder“.
Die Auseinandersetzung mit Warenästhetik und Werbung auf der einen Seite und das Hinterfragen des eigenen und des öffentlichen Kunst- (und Künstler-)verständnisses auf der anderen mündet Ende der siebziger Jahre in die zweite von drei zusammen mit Manfred Boecker unternommenen Gemeinschaftsarbeiten. Die Präsentation einiger von Niedeckens Beiträgen zu „Was ist Kunst?“ (1978) knüpft an die erste „Schauraum“-Ausstellung vom Frühsommer 2006 an, die Ausschnitte aus den beiden anderen „Feldforschungsprojekten“ „Wunschbilder“ (1977) und „Tagesbilder“ (1979) gezeigt hatte.
„Was ist Kunst?“ sammelt, so lautet 1979 die Selbstauskunft von Niedecken / Boecker, „Belastungsmaterial für einen längst fälligen kulturpolitischen Indizienprozess“. Geführt wird dieser Prozess gegen die in Werbung und gezeichneten Bildwitzen kursierenden Darstellungen und Vorstellungen von Kunst, von Kunstbetrieb und Kunstpersonal. Die Indiziensammlung umfasst zwölf, jeweils einen anderen Themenbereich abdeckende Aktenordner voller Karikaturen und Annoncen. Das aus Zeitschriften gewonnene Material ermöglicht einen genauen Blick auf die von den Werbegraphikern und Zeichnern benutzten Stereotypen und Klischees bei ihrem Umgang mit Kunst. Beide, Witz und Werbung, müssen, um das Funktionieren der Kommunikation mit dem Rezipienten sicherzustellen, anknüpfen an weit verbreitete und gemeinhin akzeptierte Kunst-Auffassungen. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, eben diese Auffassungen, die nicht selten Vorurteilen gleichen, wenn nicht stets aufs Neue zu erzeugen, so doch zu festigen.
Die detailarmen Bildwitze verlangen die Beteiligung des Betrachters, der sich beim Vervollständigen der spärlich gegebenen Informationen empfänglich zeigt für Klischees. Der Künstler bleibt der ewige, Baskenmütze und Schal tragende sowie unablässig rauchende und trinkende Bohemien, der seinem oft unbekleideten Modell zu nahe zu kommen pflegt und auf dessen Leinwand entweder Aktstudien zu sehen sind oder Schmierereien: So sucht der Zeichner augenzwinkernd das Einverständnis mit dem über abstrakte Kunst im Namen des ‚Guten Geschmacks’ urteilenden Betrachter („A child of six could do it“), der mit seinem Beharren auf dem gesunden Menschenverstand längst schon das Banausentum verkörpert, dessen er den abstrakt malenden Künstler noch zeiht.
In der Werbung bietet sich ein anderes Bild. Kunst dient hier als Staffage für die Ware, der sie den Glanz bleibender Werte zu verleihen hat. Kunst ist in der Werbung Geldanlage, wirkungsvolles Möbelstück oder bunter, gerade noch erlaubter Spleen, nie jedoch Widerstand oder zumindest Irritation. Die Werbung, die Kunst für ihre (manipulativen) Zwecke benutzt, suggeriert dem Konsumenten, auch er könne teilhaben am Wohlbefinden der lucky few, kaufe er nur das vorgestellte Produkt. Doch zumeist versagt die Ware die Erfüllung der geweckten Bedürfnisse, um das Kaufbedürfnis in die Zukunft hinein zu verlängern.
In „Was ist Kunst?“ folgt auf die Dokumentation in einem zweiten Schritt die Interpretation des vorgefundenen Materials. Das in den Witzen und Annoncen als Kunst Erscheinende wird von Niedecken und Boecker per Ausschnittvergrößerung photorealistisch herausgemalt und somit in die Kunst zurückgeführt. Der Medienwechsel trägt zur Analyse der photographischen bzw. gezeichneten Vorlage bei, das von Graphikern und Zeichnern als Kunst Ausgegebene tritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Solcherart freigestellte „Kunstwerke“ können plötzlich nicht nur nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden, sondern führen die in der Werbung betriebene Zurichtung der Kunst zum dekorativen Beiwerk buchstäblich vor Augen – so wenn in „Die Stunden genießen“ das (ovale) Bild zu seinem (rechteckigen) Rahmen zu passen hat und nicht umgekehrt.
Als geradezu avantgardistisch erscheint dagegen das Werk des wackeren Malers in „Q“, der das Tier, das ihm vor Augen steht, aufgrund lautlicher Übereinstimmung in einen Buchstaben des Alphabets verwandelt. Niedecken isoliert das „Q“ und funktioniert den Gag auf diese Weise um in eine Hommage an die frühen Buchstabenbilder von Jannis Kounellis, die durch die Zersplitterung des Worts eine ganz eigene Art hermetischer Dichtung schufen.
„Golgatha“ (1974) verursachte an der Kölner Kunsthochschule einen kleinen Eklat: Die drei großen Kreuze, die mit exakt reproduzierter Süßigkeitenwerbung versehen sind, mussten für eine Weihnachtsfeier einflussreicher Förderer der Hochschule abgehängt werden. Wer da jedoch Blasphemie witterte, hatte nicht genau genug hingeschaut. Schließlich thematisiert die Arbeit – wie Niedeckens Gedicht „Et neuste Testament“ fünf Jahre später: „En Golgatha ess Jubiläum, all sinn do. / Et hätt sich vill jeändert, nix blevv, wie et wohr“ – den allein kommerzielle Zwecke verfolgenden Gebrauch christlicher Symbolik. Der Titel „Golgatha“ sowie die Dreizahl der Kreuze erinnern zwar an die Kreuzigung Jesu und zweier mit ihm hingerichteter namenloser „Verbrecher“ (Lukas 23,39). Gleichzeitig verweist die Lebkuchenreklame im linken Kreuz aber auch auf das längst von Konsum und Kommerz besetzte Weihnachtsfest, dessen ursprünglich christlicher Gehalt kaum noch erkennbar ist. „Golgatha“ zwingt dazu, bei Betrachtung der Kreuze immer auch den bunten und glänzenden Warenschein zu registrieren. Und die drei Kreuze erscheinen auf einmal als eine besonders extravagante und damit verkaufsfördernde Verpackung für Süßigkeiten.
„Röhrender Hirsch“ (1974) ist ein Bilderrätsel, das alles dazu tut, gelöst zu werden. Jedes Rebus fordert vom Betrachter, die gegebenen Bilder zu erkennen und in Begriffe zu übersetzen. Im vorliegenden Fall gewährleisten die Silbenüberleitung „…der“ und mehrere Buchstabenhilfen, dass dies gelingt. Zudem wird das Lösungswort, das sich aus den gefundenen Begriffen ergibt, im Titel der Arbeit bereits genannt. Die Pointe liegt nun darin, dass dieses Lösungswort wiederum auf ein Bild verweist, ist der „Röhrende Hirsch“ doch ein beliebtes, längst aus der ‚hohen’ Kultur in die Kitschkunst abgesunkenes Bildmotiv. Dadurch kehrt sich die Bild-Begriffs-Operation noch einmal um. Niedeckens Bild IST ein „Röhrender Hirsch“ (im Titel, als gelöstes Bilderrätsel) und ist gleichzeitig KEIN „Röhrender Hirsch“ (kein aus unzähligen Wohn- und Hotelzimmern wohlbekanntes Bild). Die Arbeit erneuert die thematische Vorlage, indem sie einen „Röhrenden Hirsch“ auf Photorealismusbasis präsentiert und für dessen Popularität (wie auch Pop-Appeal) durch den Rückgriff auf Lebensmittelreklamen sorgt.
Umrisslinien wie aus Glasur, Lebkuchenfarben und bunte „Nöppchen“ – Niedeckens „Zuckerguss-Bilder“ lösen sich von der formalen Strenge der photorealistischen Arbeiten zugunsten eines eher spielerischen Umgangs mit Farbe und Form.
„Die Beschaffenheit des Künstlers“ (1974) zitiert in Titel und Inhalt René Magrittes berühmte Bilder „La condition humaine“ (1933 und 1935). Vor einem Fenster, das vom Inneren eines Zimmers aus gesehen wird, steht ein Bild auf einer Staffelei. Es stellt genau den Teil der Landschaft außerhalb des Fensters dar, der vom Bild verdeckt wird. Für Magritte zeigt sich so die Welt: „Wir sehen sie außerhalb von uns selbst und haben doch nur eine Darstellung von ihr in uns“. Der Betrachter sieht sich mit zwei verschiedenen Realitätsebenen konfrontiert, Kategorien wie Zeit und Raum geraten ins Wanken. Magrittes Bilder sind Darstellungen des eigentlich Unmöglichen. Sie befreien das Denken von seinen Gewohnheiten und geben den Dingen ihr Geheimnis zurück. Und sie sind Reflexionen über Wahrnehmungsprobleme, darin erscheinen sie als Vorläufer des Photorealismus.
Auch die Bilder von Howard Kanovitz stellen die Realität als „Bewusstseins-Collage“ dar, in der sich Schein und Sein, Illusion und Wirklichkeit überschneiden. In „The Opening“ (1970) betrachten Besucher auf einer Vernissage ein Bild, das Besucher einer Vernissage zeigt. In „Composition“ (1971) ersetzt ein gemaltes Fenster das echte, ist der Ausblick ins Freie nur Schein. Insbesondere solche Bild-im-Bild-Darstellungen schärfen den Blick dafür, wie Bilder die Realität darstellen und sie dabei gleichzeitig verzerren. Es verwundert daher nicht, dass der Photorealismus das Genre des Atelierbildes reaktiviert, präsentiert dieses doch den Künstler unmittelbar bei der Arbeit und bei der Abbildung seiner Sicht auf die Welt. Vermeers „Der Maler und sein Modell“ (ca. 1665) kann als berühmtester Beitrag zum Genre gelten, es wird von den Photorealisten Malcolm Morley („Vermeer, portrait of the artist in his studio“, 1968) und John Clem Clarke („An American Vermeer“, 1970) als Vorlage für eigene Arbeiten gewählt.
Auch Niedeckens „Die Beschaffenheit des Künstlers“ ist solch ein Atelierbild, zu sehen sind ein Maler, sein Modell sowie auf einer Staffelei der künstlerische Ertrag ihrer Sitzungen. Das Bild steht zwischen dem Maler und dem Modell – die Abbildung verdrängt das Abgebildete, zudem erlaubt sie die Anreicherung mit Vorstellungen, Wünschen und Begehrlichkeiten. „Die Beschaffenheit des Künstlers“ signalisiert ein Vertrauen in die Kunst, die Wirklichkeit in Bewegung bringen zu können. Kunst ermöglicht das Überschreiten der Realitätsebenen und sogar das sonst verbotene Starren in das Dekolleté des (vom Maler zudem mit üppigeren Kurven ausgestatteten) Modells. All dies geschieht wiederum innerhalb eines Bildes, so dass sich das Bild-Abbild-Verhältnis verkompliziert: Der Bild-Betrachter wird zum Voyeur des Voyeurs, das Modell zur Abgebildeten in der Abbildung etc. Nicht nur die Darstellung verschiedener Wahrnehmungsschichten, auch die für Niedeckens Arbeiten unübliche Signatur mit ihrer Schreibfibel-Schönheit erinnert an die Bilder Magrittes. Diese sind ebenfalls – „Ceci n’est pas une pipe“ – Zeichen für die Freiheit des Denkens.
„Die Wörter und die Bilder“ – „Teach me tiger“ (1975) ruft Magrittes berühmte Abhandlung ins Gedächtnis: „Ein Gegenstand hängt nicht so sehr an seinem Namen, dass man für ihn nicht einen anderen finden könnte, der besser zu ihm passte“. Magrittes Bilder wie „La Clef des Songes“ erschüttern die scheinbar festgefügten, in Wahrheit jedoch rein konventionellen Beziehungen zwischen den Dingen und ihren Namen. Die im Surrealismus und vor allem im Werk Magrittes häufigen „poetischen“ Bildtitel verfolgen eine ähnliche Absicht. Sie zwingen Bezeichnung und Bezeichnetes in ein Spannungsverhältnis, etwa durch die bewusst ‚falsche’ Benennung des Bildes. „Teach me tiger“ spielt mit einer solchen „beziehungsvollen Beziehungslosigkeit“ (Peter Sager). Da das Leopardenfell in Zuckergussoptik augenscheinlich nicht zum angekündigten Tiger ‚passt’, eröffnet sich für den Betrachter ein nicht lösbares Hin und Her zwischen dem Bild und seinem Titel. In verwandter Form formuliert Niedeckens Arbeit „Wie wohr et dann enn Japan?“ von 1987 die nach einer BAP-China-Tour dem Künstler am häufigsten gestellte Frage; auch an Daniel Spoerris „Einen Rembrandt als Bügelbrett benutzen“ ist zu denken.
„Teach me tiger“ dokumentiert darüber hinaus erstmals Niedeckens Vorliebe für das Leopardenfell, das noch über dreißig Jahre später in gemalter oder besungener Form auf das Werk Bob Dylans verweist. Hier setzte sich letztlich das Bild gegen seinen Titel durch: Gegen Dylans „Leopard-skin pill-box hat“ blieb Marilyn Monroes gehauchtes „Teach me tiger“ ohne Chance.
„Kopfende“ (1975) betreibt ein lustvolles, hochironisches Ausloten und Überschreiten von Geschmacksgrenzen. Die konsequente Betrachtung der Welt als ästhetisches Phänomen hat Susan Sontag einmal als „Camp“ bezeichnet. Zu „Camp“ gehört die Gewissheit, dass es „einen guten Geschmack des schlechten Geschmacks gibt“ sowie die Liebe zum Übertriebenen und zum Übergeschnappten. „Kopfende“ kann als absichtsvoll hergestellte „Camp“-Kunst begriffen werden, als Kunst, die „nicht ernst genommen werden kann, weil sie ‚zuviel’ ist“ – anti-seriöse, übermütige Kunst. Geschlechtersymbole und Herzchen vor rosa bzw. hellblauem Hintergrund; zwei Rauten, die sich zu einer (eckigen) liegenden Acht vereinigen. Ein Hinweisschild fürs Ehebett, das die Unendlichkeit einer zur Harmlosigkeit verniedlichten Sexualität anzeigt. All das ungelenk gemalt wie von Kinderhand, wie auf dem alternativen Flohmarkt oder auf der Esoterikmesse gefunden, auf der Poesie mit Kitsch verwechselt wird. „Ich hatte mir vorgenommen, mit den Zuckerguß-Bildern möglichst unerträgliche Sachen zu malen. Das Schlimme ist, dass es mir gelang.“ Niedeckens Fazit bilanziert 1985 die geglückte Anwendung von „Camp“-Strategien zehn Jahre zuvor und eine „Entthronung des Ernstes“, deren (gewünschter) Effekt nicht zuletzt die Provokation war.
„Mein Beitrag zum Sieg“ (1975) bezieht entgegen dem ersten Anschein weniger Stellung in einer politischen als vielmehr in einer Kunst-Debatte. Hans Magnus Enzensberger hatte 1968 im berühmten „Kursbuch 15“ den ‚Tod der Literatur’ ausgerufen und literarische Texte gefordert, die sich ganz in den Dienst der politischen Sache stellen. Jörg Immendorff unternimmt zu Beginn der siebziger Jahre für die bildende Kunst einen ähnlichen Versuch, die ästhetischen Qualitäten einer künstlerischen Arbeit ihrem Gebrauchswert unterzuordnen. „Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?“, lautet die Gewissensfrage. Als notwendig und richtig gilt allein noch jene bewusst kunstlose und primitive Malerei in Agitprop-Manier, die den Auszug des Künstlers aus dem Elfenbeinturm feiert und die davon träumt, die breite Masse mit einer politischen Botschaft zu erreichen.
1973 entstehen Immendorffs gegen die „USA-Aggression in Indochina“ gerichteten, grellbunt gemalten und mit erklärenden Bildunterschriften versehenen „Städtebilder“: Verbrüderungsszenen zwischen Künstlern und Arbeitern, Demonstrationszüge, Diskussionsrunden – und ein nächtliches Köln „im Zeichen der Aktivitäten des nationalen Vietnam-Komitees“ samt Rheindampfer und Domkulisse. Als unmittelbare Antwort auf dieses mit dem Ausruf „Alles für den Sieg des kämpfenden vietnamesischen Volkes!“ unterzeichnete Immendorff-Bild erscheint Niedeckens „Mein Beitrag zum Sieg“. Die Flagge der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams wird in bonbonfarbener, liebesperlenverzierter Gestalt zum Wandschmuck. Entlarvt wird so die Wirkungslosigkeit aller Agitprop-Bemühungen, führen diese doch nicht zu einer Forcierung des politischen Kampfs, sondern allein zu schlechter Kunst. Wer den Wert von Kunst nach ihrer unmittelbaren Wirksamkeit bemisst, urteilt nach Maßstäben eines Kosten-Nutzen-Denkens, das er anderswo als unmenschlich geißelt. Kunst handelt von einer anderen, besseren Praxis weit eher, wenn sie verfestigte Meinungen ins Wanken bringt und neue Möglichkeiten aufzeigt, ohne Handlungen vorzugeben. Reflexionen dieser Art anzustoßen ist Niedeckens „Beitrag zum Sieg“, der nicht als der geringste zu veranschlagen ist.
© Oliver Kobold, 2006